Natürlich ruft Christiane auch in dieser Woche zur ABC-Etüde.
Wortspenderin ist Elke H.Speidel, deren Blog den herrlichen Namen Transsilabia -Wörter auf Litera-Tour trägt. Ihre feinen, freundlichen, oft melancholischen Texte liebe ich sehr. Ihre Wörter der Woche sind:
Ahornblatt
krabbeln
Chinareise
Die Illustration stammt wie immer vom Etüdenerfinder Ludwig Zeidler.
Konzentriert unter einer kunterbunten Ringelmütze hervoguckend hält mein Sohn das gelbe Ahornblatt mit seinen kleinen Fäusten in den wunderbar klaren Novemberhimmel. Da ich nichts zum Fotografieren dabei habe, schwöre ich mir dieses Bild auf ewig im Herzen zu bewahren. Meine Begleiterin, die mit ihrem Smartphone auf ihre ein paar Meter weiter durchs Laub robbende Tochter hält, mag ich nicht bitten. Aus einem nicht ganz erklärlichen Grund wäre mir das peinlich, außerdem reden wir gerade über etwas anderes.
„Sie hat sich gemeldet, eine spontane Chinareise, stell dir vor, geschäftlich, auch in ganz entlegene Gegenden muss sie“, fabuliere, nein, lüge ich und verfluche innerlich den weichen Moment, in dem ich meiner Spielgruppenbekanntschaft vom Verschwinden meiner ältesten, seit Grundschultagen vertrauten Freundin erzählt habe.
Nach Wochen der Sorge, rief sie mich vorgestern mit unterdrückter Nummer an, aus einem nicht näher definierten Ausland, wohl eher Europa als China und verabschiedete sich nach zwanzig intensiven Jahren für immer. Ehe sie sich zu Tode saufe, wolle sie alles hinter sich lassen, ihr Elternhaus verkaufen, ihren Namen ändern, keine Spuren hinterlassen; die Schläge, den Missbrauch und die Verlogenheit vergessen. „Es ist nicht deine Schuld, aber du als Zeugin und Vertraute triggerst mich immer wieder“ schloss sie und legte auf, bevor ich ihr alles Gute wünschen konnte.
Ich starrte auf den Hörer und fand kein Gefühl in mir.
„Na dann ist ja alles gut“, sagt meine Bekannte leichthin und unsere ziemlich neuen Kinder krabbeln weiter durch raschelnde Vergänglichkeit.
Auch wenn es fiktionalisiert ist, es gibt solche Leute und manchmal sind solche Reaktionen, so weh sie tun notwendig (ich war schon an beiden Enden), Gerade dadurch, dass es sie gibt und dass dahinter eine große, ungesagte Wucht steht, wird dein Text sehr berührend. Ich hoffe, es kommen viele Etüden-Fans zum Lesen bei dir vorbei.
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Keine leichte Entscheidung. dergl hat recht mit der Wucht, mit der so was einschlägt, und man spürt/liest aus deinen Worten deine … Verlorenheit. Ich hab das Gefühl, ich kann mir die Situation gut vorstellen, obwohl ich es vermutlich nicht kann …
Liebe Grüße
Christiane
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Stark, die Geschichte berührt mich sehr. Das Tröstliche ist, dass die Freundin es sagt und nicht schweigend verschwindet: „Es ist nicht deine Schuld, aber du als Zeugin und Vertraute triggerst mich immer wieder.“
Ich kenne es anders, nämlich dass die „Zeugin und Vertraute“ geschnitten und ihre Glaubwürdigkeit bei den gemeinsamen Bekannten unterminiert wird. Sie soll eine Unperson werden, da sie zu viel weiß. Ein sauberer Schnitt wie in der Geschichte ist menschlicher.
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Ich stand auch schon an dem Ende – an deinem Ende – Aber es wird besser – vielleicht geht es dir dann sogar wie mir und du merkst, dass eine solche Beziehung eher belastend war und man sich leichter fühlt. Liebe Grüsse
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Ah, danke für diese sehr gelungene Interpretation meiner Wortspende und auch für das Lob, mit dem du einleitend meine Texte bedacht hast!
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Vielen Dank für alle Rückmeldungen. So gern ich auf das Erlebnis verzichtet hätte, freue ich mich doch , dass Ihr die Wucht und Verlorenheit (danke Christiane, das trifft es sehr gut) aus meinen Worten lesen konntet.
Und es ist tröstlich zu wissen,dass ich nicht die Einzige bin,die nach so einem Gespräch verloren auf den Hörer starrt. Gerda, du hast recht stillschweigend wäre es noch schmerzlicher gewesen,wobei ich denke, dass stillschweigend „geplant“ war und an meiner naiven Beharrlichkeit scheiterte.
Liebe Grüße
Natalie
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