Hinter dem Rücken der Sprachpolizei (ABC-Etüde)

„Wie alt ist sie?“, fragte der Tierarzt und konnte kaum glauben, dass ich ihm ein acht Jahre altes Huhn vorstellte, weil es humpelte, ohne dass eine Verletzung zu sehen war.

„Acht Jahre“, murmelte er noch einmal beim Abschied, nachdem er Gicht bei der betagten Lady als wahrscheinlichste Ursache diagnostiziert hatte.

So ähnlich wie beim Tierarzt fühle ich mich nun wieder. Ich konnte tagelang nichts auf meinen Blog stellen, keine einzige WordPress- Funktion nutzen, und immer wenn auf meiner Suche nach Rat die Sprache auf das Alter meines Laptops kam, wurden die Augen rund vor Verwunderung, der ist nämlich älter ist als das Huhn.

Von der Etüdenhüterin Christiane kam der entscheidende Hinweis, es könne auch am Browser liegen und – YEAH – nach einer kompletten nächtlichen Neuinstallation läuft das Fundevogelnest wieder, wenn auch recht gemächlich.

Danke, liebe Christiane, danke! Da muss ich doch als erste der aufgelaufenen Schreibideen die letztwöchige Etüde verwirklichen

Es gab übrigens eine Instanz, die sich über meine Computerprobleme ins Fäustchen lachte: Meiner inneren Sprachpolizei gefiel und gefällt es nämlich gar nicht zum Etüdenthema zu werden.

Doch was lag nach Werner Kastens Wortspende

Sprachpolizei

verroht

Vergehen

näher?

Danke dafür und danke an Ludwig Zeidler für die Illustration.

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Vor einem halben Sommer und einem Jahr starb mein Vater, keine 48 Stunden nachdem er von uns in einem neuen Pflegeheim untergebracht worden war, einem schönen, hellen, antroprosophischen, einem, in dem alles besser werden sollte.

Die Pflegerin, die morgens meinen Vater sterbend vorfand, benachrichtigte ihre Kolleginnen, sie sei nun nicht mehr verfügbar und blieb eine gute Stunde an seiner Seite, bis er endgültig davongegangen war. Er habe ihr diese Ehre gegeben, behauptete sie schnurrend selbstgewiss und drückte meine schluchzende Mutter an ihren trauergestählten Busen. Ich hätte im Taxi weit weniger als eine Stunde gebraucht, hätte ihn wie so viele Male in den Wochen zuvor in meinen Armen in den Schlaf gesungen, aber die Idee ihre Sterbebegleitung durch einen Anruf bei den Angehörigen zu ergänzen, ist der Pflegerin wohl nicht gekommen.

Reiss dich zusammen, es ist eh‘ zu spät, hielt die innere Sprachpolizei mich davon ab, ihr all die verrohten Worte an den Kopf zu werfen, die mir diese Sprachpolizei seit Jahren abzugewöhnen versucht, die mit V , das mit A., bedank dich lieber anständig. Eine Szene machen im Beisein eines gerade Verstorbenen, das gehört sich nicht, das wäre ein Vergehen, über das sich nicht nur die innere Sprachpolizei, sondern auch die Familie jahrelang erregen würde

Dankeschön, aber ich kenne euch, ihr professionellen Sterbebegleiterinnen, ihr Strebeammen, ihr mit euren tollen Ausbildungen, euch, die ihr alles wisst, die ihr den Tod nicht zu fürchten gelehrt worden seit, die ihr Großartiges mit Sterbenden erlebt, die ihr die pflegende Schwester zur Seite schiebt und mit eurer andressierten Empathie, euren rosa Schleiern, Papierschiffchen und Bronzeengeln die Angehörigen überrollt.

Schreib, dass es welche gibt, die sich zurücknehmen können, mahnt die innere Sprachpolizei, zu viele Sterbende haben wirklich niemanden auf der Welt und zahlreiche Angehörige sind für den Segen einer guten Sterbebegleitung ewig dankbar, bedenk das, viel zu viele halten dem Sterben nicht stand, berücksichtige beim Schreiben, dass es auch männliche Sterbebegleiter gibt, ob du nun welche kennst oder nicht und vor allem nimm‘ dich in deiner persönlichen Verletzheit einfach nicht so wichtig.

Ich hasse euch, ihr Sterbegeierinnen!

(Habe die innere Sprachpolizei gerade mit Horst Seehofer abgelenkt).

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9 Gedanken zu “Hinter dem Rücken der Sprachpolizei (ABC-Etüde)

  1. violaetcetera Juli 10, 2018 / 9:24 pm

    Ich bewundere deine Disziplin in dieser schlimmen Situation, meine Sprachpolizei würde da wahrscheinlich nichts ausrichten können. Die Angehörigen nicht zu benachrichtigen, finde ich schlimm.

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    • fundevogelnest Juli 10, 2018 / 10:15 pm

      Mir geht es in solchen Situationen und auch an dem Tag oft so, dass ich meiner eigenen Wahrnehmung nicht traue, nur sehr verzögert realisiere, was eigentlich abläuft – warum auch immer.
      Natalie

      Gefällt 2 Personen

      • violaetcetera Juli 11, 2018 / 9:23 pm

        Jeder reagiert eben anders in diesen Situationen. Ich trete dann innerlich aus der Situation heraus und bin eiskalt, auch wenn das nicht angebracht ist.

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  2. Elke H. Speidel Juli 11, 2018 / 8:15 am

    Ich bin sehr dankbar, beim Tod meines Mannes im Krankenhaus auf einen jungen katholischen Seelsorger getroffen zu sein, der uns Angehörige beim Sterben meines Mannes behutsam und einfühlsam begleitet, unseren Schock über das sehr plötzliche Ende gemildert und uns getröstet hat, ohne unseren Schmerz kleinzureden oder uns mit katholischem Brimborium zu belästigen.

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    • fundevogelnest Juli 11, 2018 / 8:30 pm

      Liebe Elke,
      Ich freue mich sehr zu lesen, dass ihr so einen einfühlsamen Menschen an eurer Seite hattet.
      Mein Text war ganz bewusst kein ausgewogener, kein gerechter Text, deshalb hatte die innere Sprachpolizei so viele Vorbehalte, ich hoffe, das kommt auch so rüber. Schön, dass du via Kommentar für etwas mehr Gerechtigkeit sorgst
      Ich habe tatsächlich einmal meine persönliche Verletztheit ernst genommen.
      Das Empfinden ist ja unterschiedlich, meine Mutter und meine Schwester zum Beispiel fanden das Verhalten der Pflegerin angemessen.
      Natalie

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      • Elke H. Speidel Juli 12, 2018 / 8:46 am

        Liebe Natalie, ich wollte dir nicht widersprechen. Es geht ja um eine völlig andersartige Erfahrung, die ich einfach ergänzend einbringen wollte. Ganz davon abgesehen, dass jeder Mensch den Tod von Angehörigen anders erlebt (und erleben darf).

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  3. Christiane Juli 11, 2018 / 9:36 am

    Ich habe schon öfter mal was über die Ausbildung zur Sterbebegleitung gelesen und fand das eigentlich immer recht ansprechend. Das, was du da beschreibst, ist allerdings euch als Angehörigen gegenüber SO unsensibel, dass mir eigentlich die Worte fehlen – und das auch noch in einem anthroposophischen Heim. Egotrip vom Feinsten, auch wenn es bestimmt gut gemeint ist 😦
    (Glückwunsch zum geretteten Rechner, freut mich sehr, dass meine Idee geholfen hat. Dennoch bräuchtest du bei dem Alter vermutlich einen neuen, allein wegen des Betriebssystems, der Updates etc. Aber bestimmt weißt du das alles selbst.)
    Liebe Grüße
    Christiane

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    • fundevogelnest Juli 11, 2018 / 8:48 pm

      Liebe Christiane,
      Ein Problem war bestimmt die kurze Zeit, die wir und das Heim einander kannten. Unsere Familie ist auch nicht immer leichtverdaulich.Die Pflegerin selbst hatte uns noch nie gesehen. Ich weiß auch nicht, ob sie eine Zusatzqualifikation als Sterbebegleiterin hatte.Aber ich habe in diesem Umfeld wirklich schon mehrere Frauen (es waren wirklich immer Frauen) kennengelernt, die ich in ihrer Art alles zu wissen, die Gefühle der anderen zu kennen und das für Menschen in einer hilflosen Situation zu tun, was sie für gut halten, einfach bedrohlich finde.
      Mag sein, dass manche sich solcher Fürsorge gern überlassen.
      Ich nicht, ich halte lieber aus nicht weiter zu wissen und schätze die Menschen, die das zugeben können.
      Natalie

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  4. gkazakou Juli 11, 2018 / 1:29 pm

    Ich kenn mich mit professioneller Sterbebegleitung nicht aus, würde auf eine solche Letzte Lektion als selbst Sterbende auch lieber verzichten. Und was das Abschiednehmen von gerade Gestorbenen anbetrifft, so mag ich niemanden dabei haben. Etwas anderes ist ein Gesprächsangebot davor oder danach.

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