Der Adventskalender hängen, der Adventskranz hält mehr oder weniger zusammen und der Student der Geowissenschaften bäckt Stollen. Auch wenn die Japanischen Kirschen hier in der Straße zur Unzeit blühen, die Zeit für Weihnachtsgeschichten ist gekommen.
Diese hier schrieb ich vor einigen Jahren zum Nikolaustag für den Großen Fundevogel, der nicht Ina heißt, aber das Nikolaus-Sein im Herzen trägt. Außer der Namensänderung habe ich nur noch ein paar Insiderinfos hinzugefügt, ohne die die Geschichte außerhalb des Nests schwer verständlich wäre.
Am nächsten Samstag werde ich wieder im wunderbaren Café Mehlbeere in Großenbrode Weihnachtsgeschichten vorlesen (mehr dazu in der Seitenleiste) und bin ganz schön aufgeregt und beschäftigt deswegen.
Trotzdem räkelt sich schon eine neue Weihnachtsgeschichte, ich will versuchen sie mit den Etüden zu verbinden.
Weitere Weihnachtsgeschichten finden sich hier und dort.
Allen einen schönen Nikolaustag, ob Sie nun Schuhe befüllen oder leeren.
Der Schneeregen war widerlich, doch heute morgen hatte sie in ihrem linken Schuh einen Schokoladenteddy, weitere Süßigkeiten und eine Mandarine gefunden. Etwas abseits vom Schuh hatte eine einzelne Schokokugel in rotem Glitzerpapier gelegen, fast als hätte der Nikolaus sie im Gehen verloren.
Oder Mama.
Mama war es leider zuzutrauen den Tee zu trinken, den Ina für den Nikolaus gekocht und fürsorglich in eine Thermoskanne gefüllt hatte, auch vom extra gebackenen Marmorkuchen könnte sie auffällig krümelnd genascht haben. Komisch war allerdings, wie die Möhre für den Esel des Nikolaus ausgesehen hatte – so große Zähne hatte Mama nicht.
Hinter Ina trappelte es, als liefe da jemand auf Hufen. Erstaunt drehte sie sich um. Auf dem Bürgersteig lief ein Esel.
Ein echter Esel.
Neben dem Esel ging ein Mann. Der Mann hatte einen weißen Bart – nicht aus Watte, sondern aus echtem, angewachsenen Haar. Außerdem hatte er einen dunkelroten Samtmantel mit weißen Plüschdekorationen an, dazu eine Samtmütze in der selben Farbe.
Ina blieb stehen.
„Sind Sie der Nikolaus?“, fragte sie.
„Jo, bin ich“, bestätigte der Mann.
„Sind sie echt?“
„Fass‘ mal an, mien Deern“, er hielt ihr seinen Arm hin. Ina fasste an, ein warmer, kräftiger Männerarm in einem durchweichten Samtärmel.
„Den Esel darfst auch anfassen. Tut mir leid, dass er letzte Nacht so schlampig von deiner Möhre abgebissen hat, seine Zähne sind ziemlich hinüber.“
„Ist nicht schlimm“, sagte Ina und streichelte den Esel. Er war irdisch und warm. Die Regentropfen in seinem Fell glitzerten wie Zauberperlen.
„Und Sie sind der ganz echte Nikolaus? Oder sind Sie verkleidet?“
„Willst es genau wissen oder nur ein bisschen?“, fragte der Nikolaus zurück.
„Genau“, verlangte Ina. „Ich gehe in die fünfte Klasse.“
„Jo, da will man Bescheid wissen“, bekräftigte der Nikolaus. „Also, ich bin NICHT der echte Nikolaus. Der Heilige Nikolaus, der Bischof von Myra, der ist seit 1500 Jahren tot. Mausetot. Weißt du, der war’n feiner Kerl: Einmal hat er drei armen Mädchen heimlich Gold vor die Tür gelegt. Ich sag dir, die mussten nie mehr hungern.“
„Aber Sie sind nur verkleidet…“
Sie seufzte.
Der verkleidete Nikolaus lachte geheimnisvoll: „Verkleidet jo, aber nicht nur. Die Leute, die anderen geben, ohne auf Geld zu schielen und ohne dafür ins Fernsehen kommen zu wollen, weißt du, die gibts immer noch. Alle, die gerne schenken, sind ein bisschen der Heilige Nikolaus. Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“
Ina nickte.
„Außerhalb der Weihnachtszeit bin ich ein alter Mann mit einem weißen Bart. Ich habe früher ein bisschen viel … nun ja … getrunken, musst du wissen. Darum wohne ich in dem Haus, in dem die Männer wohnen, die zu viel getrunken haben – du weißt schon wo.“
Sie wusste. Das graue Haus neben dem Rewe, da wohnten Männer, die fusselige Bärte hatten, die seltsam rochen und die manchmal ohne Handy in der Hand allein auf dem Bürgersteig redeten.
„Der Esel wohnt übers Jahr in einem kleinen Zirkus. Nach der Vorstellung trägt er Kinder durch die Manege. Immer im Kreis. Jetzt hat der Zirkus Winterpause und die freuen sich, wenn ich in den Esel durchfüttere.“
„Und wo kriegst du das Geld für die Naschis her?“, fragte Ina. Auf einmal kam es ihr komisch vor, „Sie“ zum Nikolaus zu sagen, in allen Geschichten sagten Kinder „du“ zu ihm. „Wenn du doch arm bist“, fügte sie noch hinzu.
„Willst du es genau wissen oder nur ein bisschen?“, fragte der Nikolaus wieder.
„Genau!“
„Jo, war klar“, sagte der Nikolaus. „Also eigentlich füllen die Eltern die Schuhe, gib zu, das hast du längst gewusst. Aber weißt du,es gibt Kinder, deren Eltern kriegen das nicht hin, kein Geld im Haus, keine Liebe, kein Plan. Damit diese Kinder nicht weinen müssen, kaufe ich immer ein paar Naschis und lege sie in die vergessenen Schuhe. Für mich ist das der schönste Tag im Jahr. Nix macht glücklicher als bescheren, sag ich dir, selbst wenn man kein Gold verschenken kann.“
„Mama vergisst meine Schuhe nicht“, sagte Ina beklommen und der Schneeregen wurde auf einmal noch eisiger.
„Nie“, bestätigte der Nikolaus. „Aber dein Kuchen, mien Deern, der ist ex-ze-lent! Wär‘ ich ja schön blöd, wenn ich nicht zu dir käme. Bist das einzige Kind, das nicht nur frisst, sondern den Nikolaus beschenkt und auch den Esel nie vergisst.“
Er kramte in seinen Taschen und überreichte ihr eine Schokokugel in rotem Glitzerpapier, genau wie die, die vorhin so einsam neben den prallen Päckchen gelegen hatte.
„Wenn du groß bist, wirst du sicher ein gute Nachfolgerin des Heiligen Nikolaus. Hast das Zeug dazu. Bist sozusagen Kollegin. Aber sag mal – ist das nicht dein Bus? Nun mal flott hier“.
Ina rannte und huschte im letzten Moment durch die automatische Tür.
„Tschüss Kollege..“, sagte sie leise.
Und ihr war wieder warm.
Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt und die Daten speichert und verarbeitet. Ich selbst nutze die so erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.
Ach Mensch. Da lache und weine ich gleichzeitig ein bisschen bei deiner Nikolausgeschichte. Danke dafür.
Liebe Grüße
Christiane
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Eine wunderbare Geschichte von einem außergewöhnlichen Nikolo und einem ganz lieben Fundevogel. Und der Esel ist obendrein auch noch sehr sympathisch …
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soo gut, die Geschichte!
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eine zärtliche Geschichte ist das. Tschüss Kollege. wie schön.
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Ja, der Nikolaus bzw. der Weihnachtsmann spielte im Geschichtenuniversum des Nests ein paar Jahre lang eine wichtige Rolle.
Unvergessen: Ich erzähle irgendeine sommerliche Geschichte, die im Schwimmbad spielt und plötzlich wirft der Fundevogel ein „und dann ist da ein Mann … und der hat eine rote Badehose … und an der Badehose da ist was weißes … das ist nämlich der …“
und aller pubertären Ausfällen zum Trotz im Herzen ist und bleibt dieses Kind der Kollege des Nikolaus, das ist so wunderschön und kostbar zugleich.
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