Rosen vom Meer (ABC-Etüde)

Nieselregen

weich

irren

Diese Wörter spendete ich irgendwann im Winter für die aktuelle Etüdenrunde, nicht ahnend, wie gut sie wettermäßig passen würden, Sturmtief wäre allerdings ein Volltreffer gewesen.

Wie jedes Jahr sind imn Hamburg um diese Zeit Schulferien – statt der sonst üblichen Osterferien- die einen das Wetter kennen und manchmal auch fürchten lehren. Im Nieselregen am Ostseestrand habe ich es, glaube ich, zum ersten Mal geschafft mir eine zweite Etüde für die laufende Runde einfallen zu lassen.

An Christiane wie immer der Dank für die Illustration und liebevolle Etüdenobhut.

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Sie zieht die Kapuze tiefer ins Gesicht, schiebt den Rand ihres Halstuchs vor den Mund. Nieselregen ist es bloß, der Sturm jedoch lässt die Tropfen stechen wie Nadeln.

Schaudernd sind die anderen im Warmen geblieben, aber wie hinter Fenstern sitzen, wenn draußen ein Meer ist? Ein fremdes Meer zwar, aber endlich wieder ein Meer.

Hatte es erst für einen See gehalten, aber es war ein Meer, hatte Joon erläutert, eine fast geschlossene Bucht.

Fast an der Wasserkante läuft sie, Ausläufer der aufgewühlten See greifen nach ihren Stiefeln, hell ist der Sand und so weich, wie sie es von ihrem Meer nicht kennt, rund geschliffene Steine, manche legt sie auf ihre Hand und schließt kurz die Finger, andere sind scharfkantig, schwarz und weiß, fast wie Vogelschiss und doch wunderschön.

Die Brandung spült einen Blumenstrauß vor ihre Füße, vom Wellengang zerdrückte Rosen mit Schleierkraut gebunden, als wollte das fremde Meer um sie freien

Nicht nur Nieselregen, auch Tränen sind in ihrem Gesicht, denn sie weint um ihr verlorenes Meer. Falls sie es irgendwann wiedersehen wird, wird es ein vergiftetes Meer sein. Der Strand wird nicht mehr der Strand sein, an dem sie als Kind gespielt hatte, er wird der Ort sein, an dem sie gesehen hat, dass ein Mensch wirklich einen Menschen erschlagen und in seinem Blute liegen lassen kann.

Das fremde Meer überreicht Tulpen, erst rote und, als sie sich derer nicht erbarmt, weiße. Misshandelt liegen die Blütenblätter im Spülsaum.

Was soll das?, fragt sie das Meer im Angesicht der Lilien. Es rauscht. Du irrst, wenn du glaubst, dass ich noch einen Strand für unschuldig halte, schreit sie das Meer an, das doch nichts für das Morden unter Menschen kann.

Es schickt Rosen.

Ja, mittwochs sind immer die Seebestattungen, sagt Joon, als sie später die Hände um die heiße Teetasse schlingt.

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15 Gedanken zu “Rosen vom Meer (ABC-Etüde)

  1. Elke H. Speidel März 16, 2019 / 7:13 am

    Eine feine Geschichte. Seebestattungen, die Blumen an den Strand spülen. Ich wäre nie auf diese Idee gekommen. (Mir würde auch niemand eine Seebestattung zubilligen, glaube ich, dafür habe ich zu wenig Bezug zum Meer. Ich werde in eine Urne gestopft werden, wenn man meinen Körper verbrannt hat, und dann geht es ab nach Süddeutschland zu dem Familiengrab, in dem schon mein Mann liegt. Hoffentlich später erst. Und nicht schon nächste Woche. Ein bisschen Angst habe ich vor dem Restrisiko, das jeder OP innewohnt. Gestern war das Vorbereitungsgespräch, und das beruhigt bekanntlich nicht so recht. Ist wie ein doofer Beipackzettel auf einem wichtigen Medikament. Aber nützt ja alles nichts, bösartige Tumore müssen raus.)

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    • fundevogelnest März 16, 2019 / 3:09 pm

      Liebe Elke,
      Meine Eltern sind, nachdem sie in Rente gegangen waren, an die Neustädter Bucht gezogen. Dort wird einem diese Idee buchstäblich vor die Füße gespült … Den Keim für diese Geschichte trage ich so schon länger durch die Gegend.
      Bald nun wird meine Mutter wieder nach Hamburg ziehen, zu mir in die Straße, die Wohnung ist schon reserviert, aber noch nicht fertig gebaut. Es wird ein abschied, aber auch Erleichterung.
      So ist alles im Wandel.
      Ich wünsche dir ganz viele liebevolle Menschen und Gedanken um dich, die dir bis zur OP helfen, die kriechenden Angstgedanken im Zaume zu halten. Ich werde wie gesagt aus der Ferne ganz, ganz fest an dich denken..
      Und bin zuversichtlich bald wieder von dir zu lesen.
      Eine Fernumarmung
      Natalie

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      • Elke H. Speidel März 16, 2019 / 3:14 pm

        Danke sehr. Ich hoffe auch darauf. Alles Gute für den Umzug deiner Mutter!

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  2. Ulli März 16, 2019 / 10:40 am

    Ein Meer sind alle Meere, schrieb ich einmal und so ist es letztendlich auch, nur dass sich ihre Formen der jeweiligen geographischen Situation anpassen, oberhalb des Polarkreises gleicht es einem See … kaum Wellengang!
    Liebe Natalie, ich komm drauf, weil die Protagonistin auch an diesem „anderen“ Meer, an diesem „anderm“ Strand ihren Erinnerungen nicht entkommen kann.
    Eine sehr gelungene Etüde mit Tiefgang.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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    • fundevogelnest März 16, 2019 / 9:18 pm

      Liebe Ulli,
      Das mit der ruhigen See oberhalb des Polarkreises wusste ich nicht. Ich bin keine große Reisende.
      Vielleicht ist auch weniger das Meer fremd als die Küste, an der der Mensch sich schließlich gemeinhin bewegt.
      300 Wörter sind nur 300 Wörter, so erfährt man nicht, dass auch dieser Strand, an dem ich mir gern Geschichten im Nieselregen einfallen lasse, Grauenhaftes gesehen hat.
      In Sichtweite der Küste wurden 1945 die mit ehemaligen KZ-Insassen aus Neuengamme und Überlebenden der Todesmärsche aus den KZ im Osten überfüllten Schiffe Cap Arcona und Thielbek von der britischen Luftwaffe versenkt.
      Eine Nachbarin, die dieses Grauen als Kind mitbekam, erzählte, dass von den wenigen, die sich schwimmend retten konnten viele durch die Dorfbewohner umgebracht wurden, es waren ja entkommene Häftlinge.
      Wenige Tage später war der Krieg vorbei.
      Heute steht ein Gedenkstein am Strand, manchmal lege ich dort Blumen hin.
      Natalie

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      • Ulli März 17, 2019 / 9:33 am

        Wieviel Grauen doch an vielen Orten wohnen! Und das Meer rollt vor und zurück …
        Ich dachte bei deinem Text an das Mittelmeer und die vielen Toten der letzten Jahre-
        Deine Blumen am Gedenkstein rühren mich.
        Liebe Grüße
        Ulli

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  3. Christiane März 16, 2019 / 10:49 am

    Eine feine Geschichte, die das Herz schwer macht. An eine Seebestattung dachte ich als erstes, ich habe auch schon Blumen gefunden. Und darum, dass sich die Welt zum Schlechteren verändert (und wir daran aktiv mitwirken), darum darf man (auch) weinen …
    (Joon. Nie gehört als Name. Danke.)
    Liebe Grüße
    Christiane

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    • fundevogelnest März 16, 2019 / 9:25 pm

      Joon ist im Kommen! Ich sitze ja beruflich an der Quelle für neue Namenstrends 🙂
      Aber irgendwen Erwachsenes dieses Namens muss es ja auch schon geben.
      Ich mag den Klang.

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  4. Myriade März 16, 2019 / 2:34 pm

    Blumen von einer Seebestattung habe ich noch nie angespült gesehen….. ein schönes Bild

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  5. violaetcetera März 16, 2019 / 9:05 pm

    Das war ein hartes Kontrastprogramm für mich, die das Meer nur aus Sommerferientagen kennt. Aber du hast es so deutlich beschrieben, dass ich mich einfühlen konnte.

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  6. fundevogelnest März 16, 2019 / 9:35 pm

    Das war jetzt nicht gerade ein Reklametext – aber ich bin immer gern an der Ostsee.
    Im Hochsommer bei schönem Wetter kannst du an dem Stand kaum zutreten, geschweige denn längere Gedanken fassen.
    Natalie

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  7. Katharina März 17, 2019 / 10:17 pm

    Eine schöne Idee. Ich war letztes Jahr auf einer Seebstattung als Begleitung. Es war sehr bewegend die Blumen davontreiben zu sehen und ich hatte das Gefühl, dass dieser Moment den Angehörigen irgendwie geholfen hat.
    Grüße, Katharina.

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    • fundevogelnest März 18, 2019 / 9:08 pm

      Ich habe noch nie an einer Seebestattung teilgenommen, kann mir dieses Davontreiben aber gut vorstellen … und irgendwann spülen die Sträuße dann halt an

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