Zwei Vögel im Café (nachgereichte ABC-Etüde)

Am kommenden Sonntag nun, am Palmsonntag, wird der Große Fundevogel konfirmiert, auf ausdrücklichen eigenen Wunsch hin. Konfirmation heißt Bestätigung, die Bestätigung einer Taufe, die erst vor kurzer Zeit stattfand, aber auch die Bestätigung von 15 Jahren Zusammenleben im Nest.

Der Fundevogel ist so was von aufgeregt und die Fundevogelmutter auch.

Weil so ein Fest gefeiert werden will, ist im Nest emsiges Treiben ausgebrochen, das Einladen, Planen, Vorbereiten, Gäste unterbringen füllt die Stunden.

So darbte hier noch eine Extratüde unbemerkt fast fertig vor sich hin und verpasste ihren Abgabetermin am vergangen Sonntag .

Extraetüden gibt es in den Monaten, die mit fünf Sonntagen gesegnet sind, so wie der vergangene März, aus Rinas  (Café, verdorben, beißen)und meinen (Nieselregen, weich, irren) Wörterspenden sollten mindestens fünf Exemplare in einen Text mit höchstens 500 Wörtern einfließen, jede Art von Text ist bei den Etüden erlaubt.

Christiane hat wie immer alles organisiert und illustriert.

Besten Dank dafür.

Bis Sonntag nun verschwindet die Frau Fundevogel hinter ihren Kochtöpfen.

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Wir sind hier! Wir sind laut! Weil ihr uns die Zukunft klaut!

Das war noch viel zu leise! Geht das nicht ein bisschen lauter?

Bitte nicht, ächzen die Alte und die Junge im Duett, müssen lachen und kommen ins Plaudern. Wegen des bitte nicht kommen sie ins Plaudern, denken sie.

Sie irren aber. Die Vögel haben das eingefädelt.

Die Junge ist nicht ganz jung und die Alte längst nicht uralt. Trügen beide ein Baby im Tuch, würde man die Junge in diesen Zeiten zur arg jungen Mutter deklarieren. Die Alte zu einer eher jungen Oma.

Sie tragen gar keine Babys, sondern bei jeder hockt auf der Schulter ein hellgrauer Vogel, mit vereinzelten bunten Federn. Niemand kann die Vögel sehen, auch die Frauen nicht den, der jeweils anderen, nur den Vögeln entgeht nichts.

Das ist das Wunderbare. Das ist das Verheerende.

Nach der Abschlusskundgebung im Nieselregen setzen die Alte und die Junge sich in ein Café, das überquillt von durchgefeuchteten Friday-for-future-kids, ordern Kaffee mit Hafermilch und vegane Schokomuffins. Die Cafébesitzer schaffen zum Ende der Woche Stapel veganer Leckereien heran und hüten diskret ihre Zunge, wenn sie ihren eingeschworenen Lattemacchiato-Sisters die Hafermilch auftragen.

Die Junge beißt genüsslich in ihren Muffin,  die Alte bereut keinen schlichten Schwarztee bestellt zu haben.

Vegetarisch lebe ich seit Jahrzehnten, sagt sie,  für vegan reichte meine Phantasie damals nicht, habe mich an den anderen orientiert, trotz der Frage was eigentlich wird aus den jungen Hähnen und Stieren . Inkonsequent war das — dafür hatte ich keinen Strom.

Wie? Keinen Strom?

Keinen Strom halt, habe ihn abbestellt, nachdem sie das AKW in Brokdorf angestellt hatten.

Cool, sagt die Junge, möchte mehr dazu sagen, doch etwas Wertschätzendes, das nicht anbiedernd klingt, findet sie gerade nicht in sich.

Wie still das wäre, denkt sie, wie unendlich still. Ohrenstill, wenn kein Radio, kein Fernseher, kein MP3-Gerät mehr laufen mag – das geht ja noch, doch wie innenstill es wäre, die anderen, die wären ja nur noch außen. Keine Likes, keine Kommentare, ohne … ja ohne Internet. Den Vogel denkt sie, den Vogel, den würde man dann deutlicher verstehen, ich sollte es versuchen, gut wäre das, doch wie ausgeliefert wäre ich ihm, ausgeliefert seinem Schnabel in einer innerstillen Schale.

Ehrlich, es war nur die weiche Version, relativiert die Alte in ihre Gedanken hinein, das Gas hatte ich nicht gekündigt, die Heizung lief, der Herd, die Dusche auch. Erstaunlich finde ich im Nachhinein wie selten mir Nahrungsmittel verdorben sind. Nun habe ich schon lange einen Kühlschrank und habe mehr wegzuwerfen als in jenen Tagen.

War es nicht sehr still?

Schön still, antwortet die Alte, dem Vogel habe ich viel besser zugehört, denkt sie, aber nächtelang bin ich am Kanal entlang gerannt, wenn der Vogel alles in gellende Zweifel zog. Eine ohrenbetäubende Stille war es, denkt sie, Grund damals in die WG zu ziehen.

Sie plaudern noch über das Aufkommen von Ökostromanbietern.

Nächsten Freitag wieder?, fragen sie einander, nachdem E-Mail und Handynummern getauscht sind.

Unbedingt.

Unbedingt, sekundieren die Vögel in ihrer Unsichtbarkeit.

Sie haben einander noch viel zu sagen.

Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt und die Daten speichert und verarbeitet. Ich selbst nutze die so erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.

11 Gedanken zu “Zwei Vögel im Café (nachgereichte ABC-Etüde)

  1. Ulli April 11, 2019 / 7:16 am

    Der Dialog von Alten und Jungen ist auch mir sehr wichtig, ich bedauer es, dass dies nicht für alle so ist, dabei kann man so viel voneinander lernen!
    liebe Grüße
    Ulli

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    • fundevogelnest April 11, 2019 / 8:31 pm

      Ja, Freundschaften in allen Altersstufen zu haben ist wunderbar bereichernd.(Ich gehe davon aus, dass die beiden Freundinnen werden)

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  2. Elke H. Speidel April 11, 2019 / 9:07 am

    Tja. Interessanter Text.
    Ich wäre in meiner Jugend froh gewesen, wenn der Strom seltener ausgefallen wäre. Dafür hatte ich keine Dusche, überhaupt kein fließendes Wasser, wenn auch Gasheizung. Wir saßen oft in der Küche zusammen, mit mildem Licht vom alten, gasbollernden Herd und einer Kerze am Küchentisch, und sangen mehrstimmige Lieder, meine Mutter ersten Alt, meine Schwester Sopran, ich zweiten Alt, mein Vater Bass und mein Bruder, als er etwas größer war, Bariton. Das Licht reichte nicht zum Lesen.
    Einen Fernseher gab es nicht, das Radio wurde nur sehr sparsam für ausgewählte Sendungen genutzt, „Betthupferl“ von Radio Wien zum Beispiel, wenn meine Eltern am Wochenende ausgingen und wir drei Kinder zusammen in ihrem Bett schlafen durften. Oder die Kindersendung in deutscher Sprache von Radio Tirana. Natürlich nur, wenn der Strom NICHT ausgefallen war. Die Sterne waren in klaren Nächten sehr hell. Und vor jedem Winter sagte meine Mutter tröstend: „Wir haben bisher noch jeden Winter überstanden.“ Ja, nun – das klang in unseren Ohren nur bedingt tröstlich.
    Zugegeben, ein- oder zweimal im Jahr musste eine unserer alten, nicht mehr legenden Hennen dran glauben. Tagelang kochte sie dann in ihrem Sud, bevor ihr Fleisch weich genug war, um weiterverarbeitet zu werden. Für die wenigen Eier, die ihre Schwestern legten (im Winter nicht!), waren wir dankbar. Um an nicht gespritztes Obst und Gemüse zu kommen, bauten wir es selbst an, an den ersten warmen Februartagen begann die Gartenarbeit. Nein, hat nicht immer Spaß gemacht. Im Garten muss man arbeiten, wenn die Vegetation und das Wetter es erfordern und ermöglichen, nicht, wenn es einer in den Kram passt.
    Wir hatten weder Zeit noch Muße, über vegane Nachhaltigkeit nachzudenken. Verwertet wurde ohnehin alles, eingekauft wurde mit Einkaufsnetz (und Brotkartellen), die Bruchkekse packten die Verkäufer/innen in selbstgefaltete Papiertüten, oft aus Zeitungspapier, das anschließend am Plumpsklo weiterverwendet wurde.
    Latte macchiato gab es nicht einmal dem Namen nach. „Kaffee“ war aus Eicheln, wenn ich es richtig weiß, auf jeden Fall aber nicht aus Kaffeebohnen. Milch hatten wir nur, weil eine Nachbarin eine Kuh besaß, deren Milch sie nicht allein trinken konnte, und weil sie Geld brauchte und ihre überschüssige Milch an uns verkaufte. Sie wohnte nur zwei oder drei Häuser weiter, und wir waren das letzte oder vorletzte Haus, das sie beliefern konnte. Hätte sie auf ihre Kuh verzichtet, hätte ihr Einkommen wohl nicht zum Überleben gereicht.
    Wir (das heißt, meine Großeltern, die mit uns und der Familie meines Onkels im selben Einfamilienhaus lebten) hatten ein Telefon, als einzige in meiner ganzen Schulklasse, die Nachbarn kamen zu uns, wenn sie dringende Anrufe erledigen mussten.
    Wie schön, dass wir hier und heute den Luxus genießen, vegane Produkte zu kaufen und den Strom nach Lust und Laune an- und abschalten lassen können! Das wir uns für und gegen Handys und Internet entscheiden könnten, wenn wir denn wollten! Pro und kontra Einkaufsnetz und (un-)verpackte Lebensmittel!
    Obwohl – wo fände ich in Köln eine Wohnung, die ich „umweltverträglich“ (was wäre das?) heizen könnte? Wie an eine Wohnung mit Vorratskeller, die mir den Kühlschrank ersparte? Mit Plumpsklo, die mir die Wasserspülung abnähme (und wäre das „umweltverträglich“)? Ohne Brunnen, um die Wasserleitung überflüssig zu machen? Ich gebe freimütig zu, dass ich wenig Lust habe, das auszuprobieren.
    Die Thematik ist insgesamt viel komplexer, als es zunächst scheint. Und doch sollten wir alle versuchen, unser Bisschen zu dem beizusteuern, was wir „Nachhaltigkeit“ und „Umweltverträglichkeit“ nennen, jede auf ihre, jeder und jedes auf seine je eigene Art. Da diese Arten jeweils sehr unterschiedlich sein dürften, bleibt die Gefahr gering, dass die Nebenwirkungen des wie auch immer gearteten individuellen Verhaltens sich zu gefährlichen globalen Risiken summieren.
    Und das ist gut so.

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    • fundevogelnest April 11, 2019 / 8:55 pm

      Liebe Elke, ich danke dir sehr für diesen Text, den ich als Kind der fetten Jahre der BRD niemals hätte schreiben können.
      Jeder Verzicht ist auch Luxus, denn verzichten können wir nur auf das, was wir haben könnten .
      Fasten und Hungern sind keinesweg dasselbe.
      Und doch hoffe ich durch manchen selbstgewählten Verzicht einen minimalen Beitrag leisten zu können zu Dingen, die ich mir nicht einfach kaufen kann, wie den Erhalt der Artenvielfalt.
      Eine umweltfreundlicher Wohnung, als die, die ich bewohne, wäre für mich eine besser isoliertere, eine, in der ich nicht massenhaft Erdöl verheize und trotzdem mit Decke um die Füße am Schreibtisch sitze. Aber in Köln ist man wahrscheinlich genauso froh wie in Hamburg ein bezahlbare Wohnung überhaupt gefunden zu haben.
      Es klingt bei meiner Hühnernärrischkeit vielleicht unglaubwürdig, aber zumindest Hähne habe ich auch schon geschlachtet, wenn auch nicht gern.
      (Und darf ich fragen, was ein Brotkartell ist?)
      Liebe Grüße
      Natalie

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      • Elke H. Speidel April 12, 2019 / 6:32 am

        Liebe Natalie,
        ich bin absolut nicht dagegen, im eigenen Rahmen das Möglichste dessen zu tun, was nach menschlichem und persönlichem Ermessen der „Umwelt“, der Mitwelt, dem Weiterbestand dessen dienen könnte, was uns (und anderen) wichtig ist. Gott möge uns dabei helfen zu entscheiden, was das ist, denn es ist nicht einfach für uns, aus der Fülle von (Nicht-) Wirkungen und Nebenwirkungen das Passende zu wählen.
        Ich habe Hühner auch nicht gern geschlachtet, musste es aber als Kind manchmal tun.
        Und die Rede war nicht von einem Brotkartell, sondern von Brotkartellen, das waren eine Art Abknipskarten, ähnlich wie früher die Bahnfahrkarten, die man sich lochen ließ, wenn man seine Brotration kaufte, denn Brot war rationiert. Wenn die Kartellkarte komplett entwertet war, gab es für die bestimmte Periode kein Brot mehr.

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        • fundevogelnest April 22, 2019 / 10:44 pm

          Danke für die Erklärung, so etwas ähnliches wie Lebensmittelmarken also …
          Nein, ich hatte nie den Eindruck, dass du etwas „gegen Unweltschutz“ hättest.
          Liebe Grüße
          Natalie

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  3. Christiane April 11, 2019 / 9:20 am

    Das Leben besteht aus so vielen Facetten. Ich lese deine Etüde und freue mich an der Verschiedenheit und an der Gleichheit, dann lese ich Elke, die aus einer ganz anderen Wirklichkeit erzählt und denke mir, dass man das auch nicht vergessen darf und dass daraus auch wichtige Fragen für den Alltag erwachsen. Ich mag Vielfalt. Ohne zu werten.
    Herzliche Grüße in das Konfirmationshaus! Konfirmation aus eigener Entscheidung ist eine Aussage! Gefällt mir.
    Christiane 😁😺

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  4. violaetcetera April 11, 2019 / 8:38 pm

    Ein bisschen können wir bestimmt alle für eine bessere Umwelt tun, vielleicht sind die Gegensätze zwischen Jung und Alt wenigstens überbrückbar.

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  5. fundevogelnest April 11, 2019 / 9:15 pm

    Liebe Viola, so viel Gegensatz ist da gar nicht.
    Es war gar nicht der Plan gewesen einen moralischen Text zu schreiben, er entstand recht spontan zu einer Tasse Kaffee mit Hafermilch.
    Liebe Grüße
    Natalie

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