Die Listen der Frau T. (ABC-Etüde)

Schon wieder eine Etüdenspanne vergangen, ohne dass etwas erschien auf diesem Blog. Dabei habe ich diese Woche geschrieben, sehr viel geschrieben sogar, aber meine Worte sind verletzlich, unsicher, leicht zu kränken.  Texte, die nicht stark genug sind, sich den Winden der Veröffentlichung zu stellen, als müssten ihnen noch Panzer wachsen aus Schönheit und Zärtlichkeit, um nichts und niemanden zu entblößen, außer vielleicht mich selbst.

Ein bisschen fremd sind meine Texte mir in diesen Tagen, auch der, der jetzt folgt, den ich aber reinen Gewissens auf die Straße schicken zu können glaube.Denn  ganz wollte ich Frau Vros schöne Wortspende

Tulpenzwiebel

auferstehen

kurzweilig

nicht vorbeiziehen lassen. Die Frau Vro ist eine, die fast alles zu können scheint, zeichnen und stricken, Tomaten großziehn, Nüsse einlegen  und Akkordeon spielen. Es ist unglaublich und über all das schreibt sie auch noch witzig und klug in ihrem Blog vro jongliert.

Christiane gebührt wie immer der Dank für die Pflege, Präsentation und Illustration des Etüdengartens.

Eine Frohe Osternnacht Ihnen allen. Oder Pessach. Oder, welche Nacht immer Ihnen die heiligste ist.

Ich werde mich jetzt nach draußen setzen und in diese besondere Nacht horchen.

 

Gelb, rot und orange, glatt und gefiedert, mit nur dezentem Geruch erblühen die Tulpen in den Gärten und manchmal auch davor, wetteifern welche als erste sich öffnet: Erste! Erster Tulipan ohne Streit, stimmen ein in die überbordende Sinfonie des Erblühens. Birnenblütenweiß, lerchenspornrosa, scharbockskrautgelb, küchenschellenlila, vergißmeinnichtblau, zierquittenorange ersteht die Natur auf aus Dunkelheit, Raureifschichten und schwarz moderndem Laub, verschwenderisch bohrt sich frisches Grün durch vertrocknete Vorgänger des vergangen Jahres und manchen achtlos weggeworfenen Müll.

Frau T, die als die Äpfel an den Bäumen hingen Tulpenzwiebeln setzte, schaut sich um, grüßt und notiert ihre Schätze.

Dann neigt sie sich sie voller Andacht vor dem Schmetterling des Tages,  Pfauenauge heut, ein einziges wieder nur.

Da hängt eine Liste an der Wand, auf der Frau T. Tag für Tag die Falter einträgt, voller Akribie, jeden einzelnen, der durch ihr Blickfeld gaukelt. Die Tage der verschwenderischen Schmetterlingsfülle scheinen vergangen. Zumindest hier. Die Spalte mit dem Kleinen Fuchs ist noch immer leer in diesem Jahr. Seltsam nenen die Nachbarn Frau T., nicht der Falter wegen unbedingt, sondern aus diesen und jenen Gründen. Und weil sie die Brennnesseln ihres Gartens verhätschelt wie Narzissus und Tulipan.

Warum sie diese und so viele andere Listen führt? Sie weiß es selber nicht. Ein kurzweiliger Zeitvertreib ist es nicht. Eher der Versuch eines Tages einen Beweis in der Hand zu halten, dass es Schmetterlinge wirklich gegeben hat, Falter mehr waren als Fabeltiere einer verklärten Vergangenheit. Dass ihr Verlust, ein echter Verlust gewesen sein wird.

Noch hätschelt sie Unkraut. Brennessel, Labkraut und Löwenzahn, den Nachbarn ein Ärgernis.

Schiebt den Tag des Verlustes heraus.

Manchmal muss der Liste gar eine Spalte hinzugefügt werden. Manchmal glaubt sie mit Wucht, der heilige Moment sei gekommen, der Tag an dem sich etwas dreht. Dann zagt Frau T. wieder.

Ach, könnte sie Falter setzen wie Tulpenzwiebeln.

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23 Gedanken zu “Die Listen der Frau T. (ABC-Etüde)

  1. puzzleblume April 20, 2019 / 10:18 pm

    Berührend. Ein bisschen fühle ich mich der Frau T nahe.

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  2. Christiane April 20, 2019 / 10:37 pm

    Der letzte Satz!
    Hast du auch das Gefühl, dieses Jahr bisher noch kaum Schmetterlinge/Falter gesehen zu haben? Ist das normal?
    Liebe Grüße und schöne Tage auch dir
    Christiane, mitlauschend, nach außen und nach innen

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    • fundevogelnest April 22, 2019 / 10:24 pm

      Schön, dass du auch gern nach innen und außen lauschst …
      Wenn ich auf meine mit leider wenig Akribie und lückenhaft geführten Listen Blicke, empfinde ich den großen Falteverlust – hier lokal – seit etwas 15 Jahren.
      Daran gemessen sieht es hier für dieses Jahr gar nicht schlecht aus.
      Aber kein Vergleich zu den vielen, die ich damals um mein Gartenhaus hatte…
      Zu Ostern waren die ersten Aurorafalter da.

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      • Christiane April 23, 2019 / 7:58 am

        Als ich noch städtischer gewohnt habe, ist mir am meisten nur die Abwesenheit von Viechern auf der Windschutzscheibe aufgefallen, wenn ich ehrlich bin. Aber seit ich vor 10 Jahren über die Elbe gezogen bin, bekomme ich mehr mit. Nicht dass –als Beispiel – mein Sommerflieder jetzt verwaist wäre, aber was war das vor ein paar Jahren noch für ein Getümmel! Und jetzt? Vergleichsweise traurig.

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          • fundevogelnest April 25, 2019 / 9:54 pm

            So, jetzt hat sich dieser angefangene Kommentar selbstständig abgeschickt …
            Obwohl fast jede(r), mit dem ich in dieser Stadt darüber rede, die Situation so wahrnimmt wie du, behauptet die Umweltbehörde, die Situation der Tiere in der Stadt sei im letzten Jahrzehnt stabil gewesen. Dabei ist der Verlust an Faltern, Fledermäusen, Libellen, Mauerseglern extrem auffällig.
            Aus diesem Grunde finde ich es wichtig, die Vogel- und Insektenzählaktionen des NABU mitzumachen – wenn es einem denn möglich ist.
            Einen schönen Abend noch.
            Natalie

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  3. Werner Kastens April 20, 2019 / 11:27 pm

    Die Kohlweißlinge und auch Zitronenfalter waren bei uns vor den Hummeln und Bienen im Garten. Nicht viele, aber immerhin, sie haben das Auge erfreut und auf den Frühling eingestimmt.

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    • fundevogelnest April 22, 2019 / 10:32 pm

      Bei uns wohnen die Bienen ja im Garten.Man sagt sie fliegen ab 8 Grad Celsius, Hummeln bei deutlich niedrigeren Temperaturen.
      Die Bienen der Geschätzten Mitimkerin sind im wahrsten Sinne des Wortes cool. Sie lassen sich weder durch leichten regen noch durch kühle Tage schrecken.Die Prinzessinnen in meinem Stock dagen stecken frühstens ab zehn Grad mal einen Fühler vor die Tür.
      Liebe Grüße
      Natalie

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  4. vro jongliert April 21, 2019 / 3:36 am

    Ich würde auch gerne Falter setzen wie Tulpenzwiebeln. Sie sind so wenige geworden …

    Dir sage ich Danke für deine schönen Worte zu meinem Blog. Nur scheinbar kann ich vieles. Doch noch mehr bleibt mir verschlossen und mich damit abzufinden, ist oft schwer genug. 😉
    Liebe Grüße,
    Veronika

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    • fundevogelnest April 22, 2019 / 10:34 pm

      Nun alles kann wohl kaum eine können…
      Falter setzten könnte ich allerdings wirklich gern.

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  5. hummelweb April 21, 2019 / 7:43 am

    Wunderschöne Sprache und sehr berührend, ein Text, der lange nachhallen wird in mir. Und mit jedem Falter und Schmetterling neu erwacht.
    Schöne Festtage wünscht die Hummel

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  6. Katharina April 21, 2019 / 5:33 pm

    Ein trauriger aber sehr poetischer Text. Es ist schon schade, dass die Leute lieber gerade Hecken und gepflegt Beete, als echte Natur mit allem was dazugehört wollen.
    Grüße, Katharina

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    • fundevogelnest April 22, 2019 / 10:37 pm

      Ja, das fällt mir auch schwer zu verstehen.
      Übel wird mir, wenn dann Zierschmetterlinge aus Blech in die ausgeräumten Beete gesteckt werden …

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  7. Myriade April 21, 2019 / 7:19 pm

    So zart ….

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  8. violaetcetera April 21, 2019 / 8:05 pm

    Auch hier bislang nur einige wenige Zitronenfalter und Kohlweißlinge. Frau T. hat vollkommen Recht, sich um die Schmetterlinge zu sorgen. Würde den anderen auch gut anstehen, anstatt sich an den angeblichen Wunderlichkeiten der Frau T. aufzuhalten…

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    • fundevogelnest April 22, 2019 / 10:40 pm

      Ja, nur was tun mit aller dieser Sorge, was daraus ziehen, das ist die große Frage.
      Später dachte ich, ich hätte sie nicht Frasu T., sondern Frau W. nennen sollen, nach der Hauptfigur meines Buches Johanne Wittek, sie ist es eigentlich …
      Liebe Grüße
      Natalie

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      • violaetcetera April 23, 2019 / 10:58 pm

        Das ist eben die Frage… Zum Beispiel Vorgärten nicht mit Steinen zupflastern (ist gerade sehr in Mode hier) und Blumen zur Verfügung stellen? Irgendwie wird das Umfeld auch immer schmetterlingsfeindlicher, schade. Es braucht eben mehr Menschen wie deine Frau T./W.
        Liebe Grüße zurück
        Viola.

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  9. fundevogelnest April 25, 2019 / 10:15 pm

    Ich fürchte Blumen pflanzen reicht nicht ganz, obwohl es so kostbar ist. Was mir bis vor kurzem noch nicht so klar war, ist dass künstliches Licht eine große Belastung für Insekten darstellt und gerade in den Stästen wird es ja kaum noch dunkel.
    Und auf dem Land lauern die Ackergifte.
    Ganz wichtig wäre wohl eine breite Protestbewegung gegen die Zulassung von Pestiziden und den Klimawandel, ein wirklicher Politikwechsel. Und ganz hoffnungslos bin ich nicht.
    Es ändert sich das öffentliche Bewusstsein gerade sehr, auch durch die Schulstreiks – und dann geht so etwas manchmal ganz schnell.
    Wir tun unser Bestes.
    Gruß
    Natalie

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