Aus diesen und jenen Gründen und vor allem weil nicht abgeschlossen war (Kinder, die glauben erwachsen zu sein, grmpf) bin ich nach abgesandter Etüde mitten in der Osternacht zum Schrebergarten gelaufen. Einmal angekommen und die nötigen Handgriffe erledigt, konnte ich natürlich nicht widerstehen mit der Taschenlampe übers Grundstück zu streiche: Kein Igel, keine Kröte, kein Frosch. Schade. Doch haben sie schließlich keinen Vertrag mit mir.
An den Bienenstöcken dagegen , wo ich wirklich nichts und niemanden erwartet hatte, herrschte ein sommerliches Treiben wie im Schanzenviertel (ein beliebtes Partyviertel hier in der Stadt).
Dicht an dicht wuselten die Immen auf den schmalen Brettern vor ihren Fluglöchern herum, ich war so gerührt sie zu dieser unerwarteten nächtlichen Stunde anzutreffen, dass ich mich ein wenig zu ihnen setzte. So recht ausmachen, ob sie auch flogen oder nicht, konnte ich nicht, wollte sie auch nicht mit der Taschenlampe unnötig verwirren. Saß einfach da und genoss ihre Anwesenheit, das Summen, den Geruch.
Später, als ich auf dem Nachhauseweg war, ging der fast noch volle Mond auf.
Hatte er sie nach draußen gelockt?
Noch später genau das gelesen, bei hellem Mond und guter Tracht – und die haben wir: Kirsche, Schlehe, Birne, nur um ein paar zu nennen, stehen in voller Blüte – legen die vermeintlichen Sonnenkinder durchaus Nachtschichten ein. Nun ja auch im Bienenstock ist es dunkel. Stockdunkel eben, das Wort soll daher kommen.
Am Ostermorgen dann ist die Fundevogelfamilie früh an die Ostsee aufgebrochen. Beim ersten Umsteigen in Bad Oldesloe dann: Der nächste Zug fällt aus, weiter geht es erst in einer Stunde.
Vor dem Bahnhof auf einem kleinen Platz vor der Kreisverwaltung stehen ein paar Bänke, drei nicht besonders ästhetische Fontänen plätschern vor sich hin, dort sammelt sich ein Grüppchen Gestrandeter, die sich nicht kennen, aber sich eine Auffassung zu teilen scheinen: So einen strahlend heiteren Ostersonntagmorgen kann ein schnöder Zugausfall nicht verderben, der Bahnhofsbäcker macht ein gutes Geschäft, Bänke werden Sonnenliegen, Kinder suchen erste Ostereier, der Kleine Fundevogel braucht nach Inspektion des Springbrunnens die erste Garnitur Wechselwäsche, drei junge Leute holen ihr Federballspiel aus dem Koffer, erst sieht der Kleine Fundevogel zu, dann wird er ihr Balljunge, dann versuchen sie ihm das Federballspielen beizubringen. Schwer zu sagen, wer den meisten Spaß hat. Vielleicht sogar ich zwischen meinen Osterkörben auf der Bank lachend über so viel Glückseligkeit.
Der Teil der Familie, der auf der Autobahn im Stau steckte, kommt noch später im Haus meiner Mutter an als wir.
Zwölf Leute um einen Gartentisch, letzte Woche bei der Konfirmation waren wir sogar doppelt so viele und an draußen sitzen war nicht zu denken, in der Garderobe hatten sich die Wintermäntel gedrängt.
Aber ob warm oder kalt, zwölf oder zwanzig, alle reden in erstaunlicher Geschwindigkeit gleichzeitig aufeinander ein, alle wissen so, ja nur so, wird ein Ei gekocht, ein Kaffee, ein Tee, jeder fühlt sich verantwortlich, so viele Hände schwirren auf der kleinen Arbeitsplatte in der Küche meiner Mutter umher, dass ich wieder an meine Bienenstöcke denken muss.
Angeregt durch die Farbenvielfalt der Eier unserer Hühner erzählt mein Onkel eine Geschichte; Evakuiert aus dem zerbombten Berlin auf irgendein Landgut, hielt seine Mutter Hühner, Leghorn, die weiße Eier legen, eine Verwandte direkt daneben Rhodeländer, die braune Eier legen.
Eines Tages versiegte unerklärlicherweise der Eiersegen der Weißen, bis mein Onkel, der damals noch klein genug war, durch die Luken der Hühner zu kriechen (ein Spiel, das meine Kinder auch lieben!) entdeckte, dass die Leghorn bei den Rhodeländern im Stall saßen und dort vergnügt ihre Eier legten, ein Loch im Zaun war wohl schuld daran. Trotz der Offensichtlichkeit, hatte die Verwandte kein Wort gesagt.
Sie waren doch eine Familie und in der Gemeinschaftsküche nahmen sie sich gegenseitig die Topfdeckel weg.
Die Fassungslosigkeit ist auch nach Jahrzehnten nicht aus seiner Stimme gewichen. Viel geht es noch um damals und ums Überleben an diesem übervollen Ostertisch, ums Kaninchen schlachten, Kartoffeln stoppeln und das Drama, wenn ein kleiner Junge die Lebensmittelmarken für die ganze Woche verliert.
Seit sie alle mehr oder weniger die achtzig erreicht haben, reden sie von damals, vorher hieß es immer nur gut, dass das vorbei ist, sei froh, dass du es nicht erlebt hast.
Nun brechen die Worte sich die Bahn und ich sauge sie auf, versuche sie zu bewahren.
Viel Familie heißt auch viele Ostereier. Da meine Neffen nicht mit von der Partie sind, sind die Fundevögel die einzigen Kinder und Findevögel sind sie beide wirklich nicht, müssen mit der Nase auf die Schokohasen gestoßen werden.
Aber Spaß macht es ihnen und Süßes lieben sie sowieso. Ich bin dankbar, dass die Sitte Ostergeschenke, also mehr als Schokolade, manchmal sehr viel mehr als Schokolade zu machen und über die im Netz so nachdrücklich der Kopf geschüttelt wird, hier noch nicht aufgekommen ist.
Mit der Schokolade geht es heute morgen gleich weiter, auch der Hausherr lässt es sich nicht nehmen, den geliebten Fundevögeln Süßes zwischen seinen Hecken und Stauden zu hinterlegen.
Und irgendwie gelingt es der Besten Freundin und mir noch zwischen überdrehten Kindern, hektischen Eltern, zertretenen Schokoeiern und umherfliegenden Glitzerpapier, der Versorgung ihrer kranken Katze und der hungrigen Hühner ein paar Minuten der Fast-Besinnlichkeit zu finden, ich lese ihr das Ostergedicht von Joachim Ringelnatz vor, das Christiane heute morgen auf ihren Blog gestellt hatte.
Und füge dann noch ein weiters dieses wunderbaren Dichters hinzu, eines das ich mehr oder weniger auswendig kann und das soviel wirkliches Ostern enthält, dass wir uns beide kurz die Tränen aus den Augen wischen müssen.
So ist es uns ergangen(1933)
So ist es uns ergangen. Vergiss es nicht in bessrer Zeit!- Aber Vöglein singen und sangen, Und dein Herz sei endlos weit, Vergiss es nicht! Nur damit du lernst Zu dem seltsamen Rätsel „Geschick“.- Warum wird, je weiter du dich entfernst, Desto größer der Blick? Der Tod geht stolz spazieren. Doch Sterben ist nur Zeitverlust.- Dir hängt ein Herz in deiner Brust, Das darfst du nie verlieren. Joachim Ringelnatz
Im Kirchenjahr beginnt nun die österliche Freudenzeit. Vierzig Tage soll sie währen.
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Seeehr schön deine Osterfamilien-Ostereier-Bienen-Geschichte. Danke dafür. Ich war mitten drin und habe zugehört.
Schöne Woche. Herzlich. Petra
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Danke, auch die eine schöne nachösterliche Freudenzeit.
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Ach, wie zauberhaft klingt das bei dir, obwohl man die Mühen neben den Freuden auch ganz deutlich herauslesen kann. Ich freue mich, dass mein Ringelnatz-Gedicht Teil deines Osterfestes war, und freue mich über deins.
Liebe Grüße
Christiane
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Ja, besonders durch die nächtlichen Bienen und die Gedichte wohnte diesem Ostern ein gewisser Zauber inne.
Die Mühen waren Routine.
Die auch liebe Grüße
Natalie
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Da waren viele Arten von „Familie“ enthalten, inklusive der Bienen.
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Ich fühle mich für meine Bienen verantwortlich und hänge in gewisser Weise an ihnen.
Als Familienmitglieder empfinde ich sie nicht, keine Bindung wie man sie pelzigen Hausgenossen gegenüber entwickelt.
Letzlich sind sie mir fremd.
Und dieses ganz, ganz andere Sein, berührt mich sehr.
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Ich konnte mir alles auch ganz bildhaft vorstellen. Meine Familie (leiblich wie angeheiratet) stellt an Ostern auch das Zusammensein über alles, und das ist auch das Wichtigste.
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Immer wieder erstaunt und beglückt mich wie wichtig auch meinen großen Kindern diese Feste sind, ich habe mich in ihrem Alter dieser Famile möglichst entzogen.
Ich hoffe du hattes ein schönes Osterfest.
Natalie
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Sehr schön, danke fürs Mitteilen und Gedankenbilderwecken!🙂 Lieben Gruß und immer wieder gern, Sunnybee
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Ja, auch bei dir immer wieder gern!
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