Den einen Abend nun will die Frau Fundevogel zu Bett, muss aber erst mal wieder etwas suchen,
Mandy sucht wieder ihr Handy, spottet gutmütig der Student der Geowissenschaften und wählt hilfsbereit die Nummer. Es klingelt – nicht.
Dieses Mal steckt es nicht in Ach-diese-Jacke-hatte -ich -an. Im Garten vergessen? Unterwegs verloren?
Nun ja, kümmer ich mich morgen drum. Ich habe ja den Kleinen Fundevogel, da macht es nichts , wenn das Telefon mich nicht weckt, sage ich cool und gehe schlafen. Schlafen? Von wegen. Ich liege im Bett und mache mir Sorgen um mein Telefon. Hoffentlich find ich es wieder. Hoffentlich liegt das arme Ding irgendwo warm und trocken und scheidet nicht in nassem Gras und Regen elendig dahin.
Wohlgemerkt, es handelt sich um ein Mobiltelefon, welches ich vor vielen Jahren für zehn Euro gebraucht gekauft habe. Es kann weder What’s App, noch Kaffee kochen. Es macht keine Fotos, keine Navigation, empfängt keine Emails und Ziernähte kann es auch nicht steppen.
Meine Tochter auf Reisen wäre wohl im Extremfall schlau genug mich auf dem Festnetz anzurufen, meine Mutter auch und die eingespeicherten Telefonnummern werde ich auch schon wieder bekommen, zumindest die, die noch irgendeine Relevanz für mein Leben haben.
Mehr noch als das Telefon hält mich mein Ärger über selbst wach. Wie kann ich schon wieder so schusselig gewesen sein. Und noch mehr: Wie kann eine sich wegen so einer Lappalie um den Schlaf bringen lassen? Es ist ein Telefon. Mehr nicht.
Das Telefon übernachtet wohlbehütet im Gartenhäuschen und ich schließe es am nächsten Morgen in die Arme wie mein Erstgeborenes. Weder Tochter, noch Mutter schrien in höchster Not nach mir, nur die Zusage einer Freundin zu einem Treffen in etwa zehn Tagen ist eingegangen.
Mehr oder weniger gleichzeitig fängt mein Computer nach einer unbeabsichtigten Trennung vom Stromnetz an Schwierigkeiten zu machen, geht mal, geht mal gar nicht. Zur Hilfe meine Geschichten, meine Mails, mein Blog…
Mit kaum verbrämter Panik lade ich das gute Stück in den Fahrradkorb und rase zum Computerhändler meines Vertrauens. Der behandelt mich mit derselben gutmütig-amüsierten Nachsicht, die ich von Kinderärzten kenne, wenn man an sich selbst zweifelnd beteuert, dieses quietschfidel durchs Sprechzimmer hüpfende Kind habe in der Nacht bei fast vierzig Fieber vor Ohrenschmerzen alles zusammengebrüllt. Genau wie der Kinderarzt versichert der Computerhändler meines Vertrauens,ich könne selbstverständlich wiederkommen, falls erneut Probleme auftreten sollten. Und wie eine echte Mutti fahre ich halb beschämt, halb erleichtert mit meinem Nun-nicht-mehr-Sorgenkind nach Haus.
Mein fünfundzwanzig Jahre jüngeres Ich hätte nichts als hämisches Gelächter für die Abhängigkeiten der heute sich das Federkleid raufenden Frau Fundevogel übrig gehabt: Computer und Mobiltelefon, die waren ja in einer Liga mit Fernseher und Automobil. Der Stromverbrauch – igittigit. Der Rohstoffverbrauch nicht minder und überhaupt, wer etwas von mir will, wird sich wohl kurz -also ein paar Tage oder so -gedulden können. Und mich ohne Technikbespaßung selbst beschäftigen kann ich allemal. Wer wird denn so etwas von der Technik abhängig machen.
2008 schenkten mir meine Eltern ein Mobiltelefon, weniger wohl um mir eine Freude zu machen, als um ihres eigenen Sicherheitsgefühls willen. Und nachdem ich diese Botschaft endlich begriffen hatte, sah das Telefon auch zunehmend mehr von der Welt als die Innenseite meiner Schreibtischschublade, besonders meine beiden langsam unter meinen Fittichen hervorkriechenden Kinder riefen mich an, sobald sie länger als zwanzig Minuten allein zu Hause waren. Manchmal mit den seltsamsten Vorwänden.
Darf ich ein Brot essen?
Ich habe einen Zettel bekommen, dass in drei Wochen Elternabend ist. Den musst du unterschreiben.
Im Keller geht das Licht nicht.
Es erinnerte mich an die Kontaktrufe der Küken, ihr permanentes wiwiwi…, das sie schon in ihren letzten Tagen im Ei von sich geben und auf das die Glucke mit gluck, gluck (deswegen heißt sie so) antwortet und alles ist gut.
Mein Mobiltelefon ist mein technisches Gluckenhilfsmittel für alle, die mich jederzeit brauchen dürfen. Ich selbst war ein hysterisches Kind, ohne meine Glucke in Hörweite bekam ich wegen scheinbarer Nichtigkeiten Panikanfälle und die Vorstellung meine Mutter könnte ein Mobiltelefon gehabt haben, wäre eine überaus tröstliche gewesen. Vielleicht gehen mir Wiwiwi-Anrufe deshalb nur in Ausnahmefällen auf die Nerven. Dass das Telefon ganz nebenbei auch noch zu meinem Wecker und meiner Armbanduhr geworden ist, nachdem diese Geräte dahin geschieden und nicht ersetzt worden waren, war in den Stunden seines Verschwundenseins eigentlich das einzig Unangenehme.
Alles andere war Gluckenversagungshysterie.
Einen Computer besitze ich schon bedeutend länger als ein Mobiltelefon, lange Zeit war er nichts als ein komfortabler Scheibmachinenersatz. Meine E-Mails rief ich lange Zeit ab in einem Internetcafé ab. Ihre Hauptfunktion war es Kontakte nach Südamerika zu halten und das geht per Mail eigentlich ganz gut. Als der Mailverkehr immer ausführlicher wurde, als die damals noch recht intensiv betriebene politische Arrbeit ohne Internet unmöglich wurde, kam mir dann doch der Netzzugang ins Haus. Erst war es nur Handwerkszeug, dann ließ ich mich verführen.
Die Einstiegsdroge war ein Forum für Pflegeeltern. Es hatte manchmal etwas Rettendes. Nicht wegen der Tipps, die dort einander gegeben wurden. Es war etwas anderes, es war die Erkenntnis, dass meine Pflegetochter sich nicht seltsam verhielt, sondern in dem Kontext dessen, was sie erlebt hatte, ziemlich normal. Klar das kann einem auch eine Psychologin erzählen oder ein gutes Sachbuch, im Idealfall auch ein Jugendamtsmitarbeiter. Ich wusste es auch, aber ich glaubte es ganz tief innen nicht, ganz tief innen hielt ich mich einfach für komplett unfähig und mir tat das Kind leid, das ein besseres Nest verdient hatte als dieses.
Und komischerweise waren es die Banalitäten im Forum, die mir diesen schmerzenden Zahn zogen, die Kochrepzepte, die alltäglichen, manchmal zum Schmunzeln reizenden Begebenheiten mit den Kindern, Die Fragen wie man Haare waschen, Nägel schneiden oder Zähne putzten gestalten kann, ohne dass alle daran Beteiligten den Verstand verlieren. All‘ das gebar die überfällige Erkenntnis: : Sie sind alle nicht besser oder schlechter als ich, wir alle (oder doch zumindest die meisten) geben unse Bestes für die und anvertrauten Kinder, irren auch mal, aber suchen dann nach einer neuen Lösung.
Die wenigen, die perfekt erscheinen, wirken nicht besonders glaubwürdig.
Später fand ich dann die Blogs (Huhu, liebe Frau Taugewas!) und als ich die Etüdenlunte gerochen hatte, brauchte ich selbst einen.
Und verbringe objektiv gesehen zu viel Zeit damit.
Aber es gibt Tage, das sind die digitalen die einzigen Kontakte zu Erwachsenen, die über das normale Überleben hinaus gehen, inzwischen fühlt den Reader lesen sich an, wie bei Freunden vorbeizuschauen.
Da kann man natürlich erschreckend und traurig finden, völlig vereinsamt diese Frau, aber ich habe ja auch Freunde und Familie, nur nicht immer einen Babysitter und nicht alle die mir wichtig sind, sind körperlich in der Lage das Nest zu erklimmen. Andere sind weit weg, im wörtlichen und übertragenen Sinne. Manche meiner Interessen sind auch eher speziell (300 -Wörtern-Geschichten schreiben …), da trifft man nicht unbedingt Seelenverwandte an der Straßenecke.
Aus einigen Internetbekanntschaften sind inzwischen Freundschaften geworden, Freundschaften, in denen wir uns wirklich umarmen können.
Eigentlich kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich den Rest meines Lebens das Internet so intensiv nutzen werde wie in den letzten Jahren. Vielleicht wird diese Möglichkeit ohnhin wieder verschwinden, für sicher halte ich es nicht, dass diese hochkomplexe Technik ewig zur Verfügung stehen wird. (Und einem großen Teil der Menschheit steht sie auch gar nicht zur Verfügung).
Deshalb ist mir meine Abhängigkeit von dieser Technik auch ein bisschen gruselig.
Doch derzeit gibt sie mir Freundschaft und Geschichten. Und manchmal die Möglichkeit Stellung zu beziehen oder mich solidarisch zu zeigen.
Ohne diese Kostbarkeiten will ich wirklich niemals sein.
Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt und die Daten speichert, verarbeitet und an den Spamerkennungsdienst Akismet sendet. Ich selbst nutze die erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.
Hier so ähnlich. Nur Freundschaften mit Internetbekanntschaften gibt es nicht mehr. Da bin ich ein sehr gebranntes Kind. Was im Blog oder auf Twitter geschieht, bleibt im Blog und auf Twitter, mein Offline-Leben ist fast völlig getrennt davon. Leider notwendig.
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Da war das Leben bisher gnädiger mit mir.
Nur einmal gab es eine, über dich ich hier auch schon schrieb, die entsetzte mich von Angesicht zu Angesicht mit ihren unverholen rassistischen Ansichten, die ich ihr nie zugetraut hätte. Allerdings traf ich sie auf einer Familienfreizeit, auf die ich auch ohne sie gefahtren wäre.
Täuschen kan man sich letlich auch in Menschen, die man offline kennenlernt.
Mit herzlichen Grüßen
Natalie
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Das ist wahr.
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In einigen Teilen finde ich mein eigenes Erleben und Verhältnis zur digitalen Technik und Kommunikation wieder.
Vor allem beim Lesen der Gedanken anderer zu eigenen Gefühls- oder Alltagslage waren mir diese schon eine Unterstützung, Bestätigung, Anregung …
Wohltuend ist mir, dabei den Einschränkungen des Alltags nicht weitere Gefühle geschuldeter Verpflichtungen addieren zu müssen, auch wenn sich so etwas automatisch einstellt, wenn es eben auf diese Veranlagung trifft, die Dinge generell ernst zu nehmen. Aber man kann sich dagegen quasi in einer Art Sandkasten-Situation dagegen behaupten lernen, und ich glaube, dass mir das sehr gut getan hat.
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Ja, Internetbekanntschaften sind auch bequem, muss man weder Möbel schleppen, noch Pflanzengießen und wenn es einem reichrt, schaltet man aus …
(Wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, bin mir nicht ganz sicher…)
Natalie
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So war es nicht gedacht, aber jeder ist anders.
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Okay, ich bin aus deinemSatz wirklich nicht ganz schlau geworden, tut mir leid.
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Das Mitgehen mit den technischen Möglichkeiten der Kommunikation und Mobilität ist irgendwann fast ein MUSS. In meiner Kindheit hatten wir kein Auto, kein Telefon, und Fernseher und Computer waren noch nicht erfunden – aber immerhin gab es schon Strom, ein Radio und eine Postadresse. Und ein Fahrrad.
Heute kannst du ohne Telefon viele Dienstleistungen nicht mehr beziehen, Vom Bürger wird erwartet, dass er grob informiert ist, was in seinem Land passiert, und dass er die Anordnungen, die per Radio oder TV verbreitet werden, kennt. Ohne e-mail-Adresse geisterst du als Solitär durch die Welt. Und ein Mobil-Telefon – die permanente Erreichbarkeit – wird vielfach vorausgesetzt. Es geht freilich auch ohne …
Im Falle,dass durch Kriegswirkung das System zusammenbricht, werden wir halt auf die alten Methoden des Überlebens zurückgreifen müssen. Daher ist es gut, Fahrrad, Nähmaschine und Kohleofen betriebsbereit zu halten.
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Liebe Gerda,
manchmal fürchte ich ganz tief in meiner Seele haust ein extrem konservativer,allem Neuen misstrauendender Prepper. Ich muss mich wohl mit ihm arrangieren;)
Manchmal ist er vielleicht auch ein ganz gutes Korrektiv.
Natürlich bemängelt er, dass meine Nähmaschine Strom braucht und ich hier im zweiten Stock keinen Kohleofen parat habe …
Lächelnde Grüße
Natalie
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