Morgens aufwachen und mit bloßen Füßen durch die noch ungeheizte Wohnung tappen und das nächste Päckchen vom Kalender schneiden, ach nein, den Computer hochfahren, mit aufgeregt zappelnden Fingern das nächste Päckchen im Etüdenadventskalender öffnen und sich eine Geschichte auf der Zunge zergehen lassen mit der Süße von Zimtkakao oder der herben Bitternis des Lebens. Zuckerquietschebunt wird vielleicht noch kommen.
Man weiß es vorher nicht, aber jedes Päckchen bisher war ein Gewinn.
Ich hätte nicht gedacht, dass mich in diesem Leben ein Adventskalender noch einmal so elektrisieren könnte, ich stehe mit meiner morgendlichen Ungeduld kaum dem Kleinen Fundevogel nach. Wenn das mit dem unbemerkten morgendlichen Tappen über die Dielen auch noch gar nicht geklappt hat, doch gut angerichtete Buchstaben munden bekanntlich zu jeder Tageszeit.
Tun Sie sich den Gefallen und schauen Sie rein.
Nest im Adventskalenderrausch
Geschichtensatt ist man bekanntlich niemals ganz und so liefere ich noch eine Etüde zur letzten offiziellen Runde des Jahres 2019 nach, einen Text, mit dem ich schon länger und in vielen Variationen rumexperimentiert habe und zu dem die „Unbehausheit“ aus der Wörterspende von Red Skies Over Paradise so gut passt.
Mit jedem Schlag dongt das Geländer, dongt, dröhnt und bebt, bebt bis in die Finger und von den Fingern in den Arm und überall hin, es dongt, gongt, hallt, schallt, dröhnt und bebt. Es lebt.
Stop. Hör sofort auf damit, denk an die Nachbarn.
Ungerecht ist das, dongt doch nur, tut keinem weh, dongt und dröhnt in die Finger, in die Arme, und in den Bauch auch. Dongt das Kribbeln fort, dongt in den Bauch.
Dieses schreckliche Kind!
Entschuldigen Sie, wir sind gleich weg. Komm, im Freien stören wir keinen.
Nach Flaschen haschen, die haben die Säufer dahingestellt, sagt Mama, kleine Flaschen, niedlich, so niedlich, dass es nicht auszuhalten ist, nicht auszuhalten, leicht von der Mauer zu haschen und dann hat man Splitterglitzer gemacht, ganz allein mit Macht Splitterglitzer gemacht
Bist du verrückt geworden? Kannst nicht einfach mit Flaschen werfen. Sieh diese Scherben.
Die Splitterglitzer, die glitzernden, berühren, mit Macht gemachtes Splitterglitzerglas berühren, berühren, sonst ist es nicht da.
Finger weg, komm‘ an die Hand, brauchst gar nicht zu treten, weißt, dass es nicht geht.
Diese feigen Mütter von heute, trauen sich nicht zu erziehen, eine Ansage braucht der, eine ordentliche, und wenn das nicht reicht…aber darfst du ja nicht mal mehr denken.
Schon kribbelt es wieder, kribbelt so sehr, da ist die Mauer, die Ruffelruffelmauer, ruffelruffel, tut ein bisschen weh in der Hand, ein bisschen, aber das Kribbeln ist, ruffelruffel, nicht mehr da. Ruffelruffel, hurra.
Innere Unbehaustheit nennt sie das, die Therapeutin, kein Kontakt zum eigenen Körper haben, ihn nur spüren zu können, wenn Bewegung ist, Widerstand, Vibration oder Schmerz.
Soll ich das glauben? Der ist doch einfach nur schrecklich verwöhnt.
Tschüß, ruffelruffel, rennen jetzt. Rennen.
Halt!
Ach, lass uns rennen, fortrennen, dann werden wir nicht schwermütig unter der Urteile Last.
Rennen. Fallen. Schallen. Widerhallen.
Ein Glück, die sind weg.
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Toll !!! So ein dröhnendes Gebäude in den paar Wörtern
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Danke, so war es gedacht,
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Auf der einen Seite das Gedonge und Geglitzer und Geruffelruffelruffel, und auf der anderen Seite zieht es mir den Hals zusammen: ach, verdammt. So was versteht wirklich keine*r, der*die es nicht selbst kennt, ich bin nicht sicher, ob ich es täte, eher nicht – und die übliche Frage: Was soll mal aus ihm werden, später, irgendwann, gibt es da überhaupt eine Lösung. (Ja, der Punkt ist nicht, dass ich nicht bei dir gelesen hätte, rhetorische Frage.)
Würde ich den Adventskalender nicht füttern, würde ich möglicherweise morgens genauso reagieren – oh, erst mal schauen, was heute drin ist. DANKE, das hat mich echt angefasst. 😀
Und ich wünsche dir so sehr, dass sich auch weiter hinter jedem Türchen ein Gewinn für dich versteckt! Aber … unsere Etüdenrunde hat nun mal sehr unterschiedliche Schreiber …
Ich habe mir jedenfalls Mühe gegeben, alle Preziosen so hübsch und so passend wie nur möglich anzurichten.
Liebe Grüße
Christiane 🙂
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Liebe Christiane,
auch meine Kinder finden nicht jedes Adventskalenderpäckchen seeligmachend, der eine mag halt eher Marzipan, die andere Milchschokolade. Und trotzdem ist jedes verheißungsvolle Öffnungsknistern ein Gewinn.
Ich bin schon fast ein bisschen betrübt, die nächsten Tage morgens nicht aufmachen zu können (wir gönnen uns einen kleinen Urlaub und den Laptop schleppe ich nicht mit), aber wenn wir wieder da sind…. Mmmmh… Überfress‘ ich mich.
Und der Kleine?
Ach ich bin recht zuversichtlich, er ist nicht dumm und hat so die Chance je älter er wird mit Vernunft an seine Probleme ranzugehen.
Es gibt einiges an Möglichkeiten, die zum Teil auch schon helfen.
Und als letzte Option — ehe ein Leben an die Wand fährt – auch noch medikamente. Kann sein, dass diese Frage sich irgendwann stellt. Ich hoffe erst , wenn er alt genug ist, mit zu entscheiden.
Schöne Adventstage wünscht
Natalie
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Ein ganz starker Text, der zum Nachdenken auffordert. Ich musste an den Film „Die Systemspringerin“ denken.
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Sooo anstrengend ist das Kind zum Gück nicht, weit davon entfernt. Ein liebenswertes Hampelchen. Vielleicht auch weil das Jugendamt rechtzeitig handelte und das Kind Klarheit hat.
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Da hat es ja auch offensichtlich ein zuhause mit viel Nestwärme bekommen. Ich bin selbst vom Fach und weiß wie oft Entscheidungen für die Entwicklung von Kindern viel zu spät getroffen werden.
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beeindruckend, und wahr. So wahr. danke!
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Danke, es lockte mich schon lange mich in diese Perspektive zu wagen.
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Toll! Drei-Blickwinkeletüde – Gefällt mit sehr. 🙂 Auch die „Ruffelruffelmauer“! Lieben Gruß, Sarah
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