Für alle, die jetzt erst einsteigen: Hier fängt die Geschichte an und geht dann fortlaufend nummeriert weiter:
Im Joromoauto sah es aus wie bei einer richtigen Konferenz in der Redaktion des „Neuen Tageblatts“. Wenn gar kein Babysitter aufzutreiben gewesen war, hatte Julian in der Vorschröterzeit einigen dieser Veranstaltungen beigewohnt. Da hatten auch alle ernst zusammen gesessen, nur waren die Teilnehmer trocken gewesen und niemand hatte Flügel gehabt. Außerdem interessierte Julian sich heute für das Besprochene, bei Herrn Grosse hatte er immer nur Meerschweinchen gemalt.
Imke saß mit Pamina auf dem Schoß auf dem Beifahrersitz, Julian in Jos Autowolldecke gehüllt hinter dem Lenkrad. Sage und schreibe zehn Feen hatten sich oberhalb des Armaturenbretts aufgereiht. Zu Julians unendlicher Erleichterung saß Cardámine zwischen ihnen. Sie sah weder gesund noch munter aus, aber sie war am Leben und jomäßig voller Tatendrang. Die tote Fee war zum Glück nicht mehr im Auto, aber die aufgeregte Minifee aus Paminas Zimmer war wieder dabei.
Wenn es nur nicht so entsetzlich kalt gewesen wäre! Das Joromoauto hatte keine Standheizung. Wenigstens verbreitete die Innenraumbeleuchtung tröstliches Licht. Die Feen sahen auch ganz schön verfroren aus, sie zogen ihre nassen und zum Teil zerrissenen Kleider fest um sich. Cardámine und ihre beiden Freundinnen steckten immer noch in Paminas Puppenkleidchen. Aber kaum hatte sie sich gesetzt, sagte eine zur anderen: „Ich wünsche, trocken zu sein … Ich wünsche warm zu sein … Ich wünsche, dass meine Kleider wieder in Ordnung sind … Könntest du bitte meinen verstauchten Arm richten?“
Ganze Pollenwolken stäubten gegen die Windschutzscheibe. In kürzester Zeit wirkten alle erstaunlich munter. Imke nieste, kein Wunder, sie hatte eine Pollenallergie.
„Bitte“, sagte sie, ein wenig zögernd, als habe sie Angst sich mit den Feen einzulassen. „Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, uns den gleichen Dienst zukommen zulassen? Oder wenigstens den Kindern?“
Filipendula – endlich war Julian ihr Name eingefallen – schüttelte bedauernd den Kopf.
„Menschen können wir nur etwas gewähren, wenn sie ihre Drei Wünsche des Lebens verdient haben, so wie du, Retterin Pamina.“
Filipendula sah Pamina direkt in die Augen.
„In dich und deine verbleibenden Wünsche, Retterin, setzt die Feeschaft dieser Erle ihre gesamte Hoffnung. Du bist natürlich frei und kannst deine Wünsche auch zum Aufwärmen nutzen. Unser Schicksal liegt in deiner Hand“.
Julian lief es bei diesen feierlichen Worten den Rücken herab. Wie jämmerlich hatte er seine Wünsche vergeudet, für eine arbeitslose Mutter, einen aufbrausenden Freund und die Verwandlung eines geliebten Meerschweinchens in eine nervtötende Quasselstrippe. Unendlich viel schöner und sinnvoller dazu, wäre es gewesen, jetzt von Filipendula als „Julian, der Retter der Feeschaft“ bezeichnet zu werden! Am liebsten natürlich in Paminas Hörweite. Die wahre Retterin war ebenfalls tief beeindruckt.
„Was soll ich denn machen?“, hauchte sie.
„Wir haben eine Bitte an dich. Eine Bitte, die gegen das Uralte Gesetz verstößt. Trotzdem flehen wir dich an, die beiden Wünsche, die dir geblieben sind, uns zurückzugeben. Diese Bitte ist nicht erlaubt, aber sie ist unsere letzte Hoffnung. Willst du uns also helfen?“
„Ja, ich will.“
Paminas Antwort klang wie ein Gelübde.
„Nur müsst ihr dann leider weiter frieren. So leid mir das tut.“
„Nein, das ist nicht gerecht“, mischte Cardámine sich ein. „Feen, wenn jede von uns von einer anderen – jedenfalls von denen, die noch Zauberstäbe haben – den Innenraum dieses Metallkobels ein wenig wärmer wünscht, müsste das in der Summe doch wirken wie die Menschenheizung in der Schule.“
Julian wusste, warum Cardámine seine Lieblingsfee war!
„Pfh, seit wann bedienen wir den Menschen?“, mokierte sich eine andere, die Julian gleich wegen ihres sauertöpfischen Aussehens aufgefallen war. Doch sie machte mit, beim folgenden Gemurmel und Zauberstabgefunkel. Cardámine saß stumm daneben. Sie hatte keinen Zauberstab in der Hand, ihre beiden in rosa Polyacryl gewandeten Freundinnen auch nicht. Durch Julians Gedanken waberte ein unangenehmer Verdacht, dem er nicht weiter nachgehen wollte, als ihn endlich Wärme umspülte.
„Danke“, murmelte er. Es fühlte sich an, als hätte Jo die Autoheizung angestellt. Es roch nur angenehmer.
„So nun aber los. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Cardámine wäre eine passendere Jofreundin gewesen, als die verstorbene Hassfee.
„Pamina, da du bereit bist, den Lohn des Feenrettens, zum Feen retten zu verwenden, schlage ich vor, dass wir alle, Menschen und Feen zusammen, die richtigen Worte finden, bevor wir den Pollen vergeuden. Nach all den gescheiterten Rettungsmissionen des vergangen Tages, sollten wir umsichtig sein.“
„Pfh“, wiederholte Madame Sauertopf. Die anderen nickten zu Filipendulas Worten. Julian versuchte krampfhaft, nicht allzu auffällig zu gähnen. Seit ihm wärmer wurde, kehrte die Müdigkeit mit Wucht zurück. Er schämte sich, weil es ihm im Moment fast egal war, ob und wie die Feen gerettet werden würden. Manchmal, wenn er die halbe Nacht unter der Bettdecke gelesen hatte, hatte er das Buch erst dann weg gelegt, wenn ihm schummrig vor Müdigkeit geworden war und er wusste, der Fortgang der Geschichte konnte bis morgen warten. Doch dies, so unglaublich es war, war keine Geschichte, oder es war eine in die er selbst irgendwie hineingeraten war und deren Ende nicht warten würde.
„Lass sie einfach wünschen, dass jeder Mensch, der sich der Feenwasser mehr als zwanzig seiner Schritte nährt, tot umfällt!“
Die Sauertopffee wurde Julian mit jedem Wort unsympathischer.
„Das erlaube ich nicht!“, sagte Imke prompt.
„So?“, antwortet die Fee bloß, sie schien das für eine leere Drohung zu halten, aber Julian konnte sich vorstellen, dass Pamina in so einem Fall ihrer Mutter gehorchen würde.
„Aethusa, du weißt genau, das Uralte Gesetz verbietet es, den Tod zu wünschen“, mahnte Filipendula, Aethusa Sauertopf verschränke die Arme und sagte nichts weiter.
„Wäre es nicht besser“, mische sich eine weitere Fee ins Gespräch ein. „Wenn alle Menschen, die die Feenwasser ermorden wollen, diesen Wunsch vergäßen? Wenn sie mit schmerzhafter Freude plötzlich die Schönheit der Feenwasser erkennen würden?“
Das klang gut. Verblüffend gut. Julian fragte sich, warum Tamino und er nicht auf diese simple Idee gekommen waren. Filipendula wiegte bedenklich den Kopf.
„Wir wissen nicht, wer die Teichmörder sind. Wir kennen nicht ihre Zahl, ihre Namen, ihre Gründe. Es wäre arg ins Blaue hinein gewünscht. Am Ende blieben ein paar Albträume, ein schlechtes Gewissen, ein wenig Bauchweh vielleicht. Wenn du den Geist beeinflussen willst, musst du den Bewünschten mit Namen nennen. Nur so kannst du jene Besessenheit auslösen, mit der der Junge Dennis dem Jungen Julian nachläuft, wie ein Entenküken seiner Mama.“
Tief vergrub Julian seinen Kopf in Imkes Jacke. Paminas Blicke stachen durch den Stoff.
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