Ich mag den Julian so sehr – und in diesem Kapitel bin ich unendlich stolz auf ihn. Mehr innere Größe kann ein Junge seines Alters eigentlich kaum beweisen.
Für alle, die jetzt erst einsteigen: Hier fängt die Geschichte an und geht dann fortlaufend nummeriert weiter:
Am Mittwoch waren die Feenferien – wie Pamina sie getauft hatte – zu Ende. Müde starrte Julian in seine Müslischüssel. Die beste Nachricht war, dass Frau Steffke zur kommissarischen Schulleiterin ernannt worden war. Über das Leiden der Frau Schmidt-Bruhns wurde allerlei gemunkelt. Angeblich wurde sie von der Wahnvorstellung heimgesucht, ihr liefe glitzernder Schleim aus der Hand, mit der sie vor ein paar Tagen einen Schüler der dritten Klasse geschlagen hatte. Dabei hatte sie Dennis gar nicht gehauen, grübelte Julian. Doch Gerüchte hatten bekanntlich ein ganz spezielles Eigenleben.
„Die größten Feinde eines anständigen Journalisten“, nannte Jo solche herumgeisternden Geschichten. Herr Grosse schien weniger auf Anständigkeit zu geben. Genüsslich machte er sich in seinen Leitartikeln Gedanken, ob es einen Zusammenhang zwischen Frau Schmidt-Bruhns Art eine Schule zu leiten – über die ihm Viele Vieles bereitwillig erzählten – , ihrer geheimnisvollen Krankheit und dem Phänomen gab, von dem inzwischen Fotos in Zeitungen auf der ganzen Welt abgedruckt worden waren. Es waren Jos Bilder, die auch im Internet rekordverdächtig häufig aufgerufen wurden.
Nur von den Feen hatte der schlaue Grosse nichts mitbekommen. Jo hütete ihre Zunge.
„So ruhmsüchtig bin ich auch wieder nicht. Das Exklusivinterview mit Cardámine bleibt in der Kiste der unerfüllten Wünsche. Wir wissen ja, dass erfüllte Wünsche nicht unbedingt glücklich machen. Laut Uraltem Gesetz steht mir ohnehin nichts mehr zu, aber wenn mir eine Sonderregelung angeboten würde, würde ich dankend ablehnen.“
Bei ihren letzten Worten hatte Jo sich schon die Schuhe übergezogen und war Richtung Redaktion geeilt, keine Chance ihr noch eine Antwort zu geben. Julian hätte gern noch Wünsche offen gehabt. Wünsche, um Wünsche rückgängig zu machen. Dass Frau Schmidt-Bruhns nach Dennis’ Worten wahrscheinlich sterben musste, lastete schwer auf ihm, während Dennis leicht darüber sprach, als könne die ungeliebte Schulleiterin so flugs wieder auferstehen, wie ein von Kugeln durchsiebtes Mitglied der Huvv-Gang.
„Du hast sie nicht gefraaagt. Julian, du hast schon wieder nicht gefragt“, Mo hatte kapiert, dass die Entscheidung über einen Meerschweinchengefährten einzig in Jos Händen lag. Aber dass Jo den ganzen Tag an alles Mögliche dachte, nur nicht an Meerschweinchen, wollte nicht in ihren pelzigen Kopf.
„Wie auch?“, hatte Cardámine zu bedenken gegeben, als Julian ihr sein Leid geklagt hatte. „Du sperrst das erstaunliche Tier sein Leben lang in einer Falle ein und zeigst ihm nichts als deinen eigenen seltsamen Kobel. Es kennt keine richtige Luft, kein Wetter. Licht sieht es nur durch eine durchsichtige Wand. Du gehst in die Schule und zu deinen Mitmenschen. Du findest neue Freunde unter Menschen und Feen. Das erstaunliche Tier sitzt die ganze Zeit in seiner Falle und jammert, weil seine Gedanken in der Falle sitzen.“
Seit diesem Gespräch war Julian nicht mehr genervt von Mo. Stattdessen hatte er ein schlechtes Gewissen, am liebsten wäre er ihr gar nicht mehr begegnet, aber er konnte auch nicht dauernd bei Familie Schröter übernachten.
Ob Meerschweinchen von Feen Wünsche erfüllt kriegen konnten? Wie sollte er Mo in diesem Fall dazu kriegen, eine Fee zu retten? Außerdem waren die Feen schon gerettet. Nachdenklich kaute Julian auf seinem Müsli herum. Auf einmal wusste er es! Er ließ den Löffel fallen und stürzte ins Kinderzimmer.
„Mo! Ich weiß was!“
Mo flatterte erschreckt mit den Ohren und sagte ausnahmsweise gar nichts.
„Mo, liebste Mo! Ich kann deinen Wunsch erfüllen. Ganz ohne Zauberstab. Das Uralte Gesetz brauche ich auch nicht zu fragen. Nur Wolfgang. Menno, warum bin ich denn da nicht früher drauf gekommen.“
Ein Mensch hätte jetzt vermutlich „wie bitte?“ gefragt, oder wenigstens „hä?“. Mo verlangte nicht nach Verstehen. Sie jubelte: „Julian, liebster Julian. Ich wusste, dass du alles kannst. Mach schnell. Ich brauche ganz dringend meinen Gefährten. Mach ganz, ganz schnell!“
Julian machte schnell. Weder aß er auf, noch putzte er Zähne oder kämmte sich die Haare. Heute Abend würde Jo schimpfen, weil Milch und Käse nicht im Kühlschrank standen. Das Geschirr hatte er auch nicht in die Spülmaschine geräumt. Aber das war egal. Feen erfüllten Wünsche bestimmt auch vor der Hausarbeit.
Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt und die Daten speichert, verarbeitet und an den Spamerkennungsdienst Akismet sendet. Ich selbst nutze die erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen
Ich habe da eine Vorahnung – wird es eine wundersame Vermehrung der Schröterschen Meerschweinchengang geben? Wird Mo ihren Gefährten dort treffen? Wir werden sehen.
🙂
LikeGefällt 2 Personen
Ich liebe kluge Leserinnen.
LikeGefällt 2 Personen