Und schon sind die Herbstferien da. Der Kleine Fundevogel, der zufällig gerade mal nicht hustet, geht in die Kita und der Große Fundevogel und ich haben Zeit füreinander und uns vorgenommen, wenigstens eine Wand der Gartenlaube zu streichen.
Doch heute war das nichts, es hat geschüttet wie aus Kübeln. Endlich! Ich konnte mich gar nicht satthören am Geprassel. Und während der Große Fundevogel so eine Art Herbstschläfchen hielt, schlich hier ein ungewöhnlicher Landvermesser vorbei.
Auf Wunsch von Werner Kastens, dem aktuellen Etüdenwortspender mit seinem gleichnamigen kunterbunten Blog.
An Christiane, die fleißige Etüdenpflegerin, geht wie immer der Dank für die Einladung, Organisation und Illustration.

Der Landvermesser kam immer unangekündigt, in der Regel abends, wenn wir Mädchen schon im Nachthemd mit Pulli drüber am Abendbrottisch saßen. Er hatte keinen Theodolithen oder anderes Equipment dabei, einen Namen hatte er auch nicht. Sein Haar war lang, der Bart noch länger und seine Aussprache klang geheimnisvoll fremd in unseren Ohren.
Er sprach wenig, aß hungrig und später faltete er für uns sorgsam Origamitierchen aus Werbeprospekten. Papa bestellte immer eine Kuh.
Wenn wir im Bett waren, wiegte uns stundenlanges Gemurmel aus der Stube in den Schlaf. Am Morgen war der Landvermesser stets verschwunden.
Irgendwann kam er nicht mehr. Meine Eltern sprachen nie über ihn.
Nachmittags ruft Mama mich an, Papa will schon wieder los
Die Demenz flüstert ihm ein, er müsse fliehen, er möchte Kühe, die er nicht hat, im Wald aussetzen und durchwühlt Mamas Schreibtisch nach wichtigen Papieren. Mir fällt die undankbare Aufgabe zu alles wieder zu sortieren.
Beim Tee kommt er langsam zur Ruhe und aus einem Impuls heraus frage ich: Papa, wer war der Landvermesser?
Verrat ihn nicht, verflixt, schon hat er wieder seinen Fluchtblick.
Tut sie nicht, sagt Mama bestimmt. Dass du dich an ihn noch erinnerst. Wir nannten ihn so, weil er immer umherstreifte. Er war Ami, Vietnamkriegsdeserteur, deshalb wollten wir nicht, dass ihr seinen Namen wisst.
Deserteur? Meine Eltern? Wie jetzt?
Heute würde man sagen, er war traumatisiert, er hätte Therapie gebraucht … Irgendwann blieb er weg, keine Ahnung, was aus ihm wurde.
Wochen später schickt sie mir einen Link. Keine Pflegeheimbewertung diesmal, sondern die Mediathek eines Radiosenders.
Ein Feature über moderne Einsiedler, darunter ein Heilkräutersammler, der nur mit einer Kuh im Walde wohnt.
Seinen Namen will er im Radio nicht hören.
Nennen Sie mich den Landvermesser, sagt er mit Yankeeakzent.
Ich lächele und weiß, dass auch Mama endlich wieder einmal gelächelt hat.
Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt und die Daten speichert, verarbeitet und an den Spamerkennungsdienst Akismet sendet. Ich selbst nutze die erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.
Wow, was für eine schöne Geschichte! Wie entstand die Idee dazu?
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Liebe Lea,
Wie entstehen Geschichten? Schwierig zu beantworten.
Die Begebenheit mit dem Landvermesser ist auf jeden Fall nicht autobiographisch inspiriert und hat sich meines Wissens niemals genau so ereignet.
Aber Spuren gibt es immer, mein Vater war dement und er war Kriegsgegner, einer der ersten Verweigerer der Bundesrepublik (sie haben ihn letzlich einfach in Ruhe gelasse), ich wüsste nicht, dass er einen Vietnamdeserteur gekannt hätte. Ich hatte eine Tante, die lebte mit ihren Pferden mitten im Wald, von Heilkräutern wusste sie meines Wissens nicht viel. Es gab J., den ich am selben Tag wie die Herzensfreundin kennenlernte, ein Totalverweigerer (also weder Kriegs- noch Zivildienst ) , der machte sich auf auf eine lange Wanderung und ich habe tatsächlich zufällig in einer Radiosendung wieder von ihm gehört, die war aber nicht über Einsiedler.
Und plötzlich steht da eine Geschichte.
Und frag nicht, warum die Kühe unbedingt mit in die 300 Wörter gequetscht werden wollrten.Sie waren sehr hartnäckig .
Liebe Grüße
Natalie
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Das ist wieder einmal so eine Kloß-im-Hals-Etüde für mich, aber das kommt aus meiner Familiengeschichte. Berührt mich sehr, danke dir vielmals.
Und falls du irgendwas dazu sagen kannst – ich habe beim Lesen spontan das Gleiche gedacht wie Lea …
Spätabendliche Regengrüße
Christiane 😉
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Wie sehr es doch von unserer eigenen Geschichte abhängt, wie wir andere aufnehmen.
Un dwie wir schreiben.
Zu den Wurzeln der Etüde verweise ich freundlich auf meine Antwort an die Kommunikatze.
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Da ist ein berührend tragischer und doch zarter Zauber drin.
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Danke für dieses schöne Kompliment.
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Demenz ist ein Thema, das ich am liebsten vergessen würde. Geht aber nicht ….
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Kaum eine Familie, kaum ein Freundeskreis, der davon verschont bleibt .
Bei mir war es mein Vater, der am Endes seine Lebens eine ausgeprägte Parkinsondemenz hatte.
Und was wird mit uns am Ende unserer Tage sein?
Mitfühlende Grüße
Natalie
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Ja, durch das längere Leben trifft es so viele. Von außen kann aber niemand sagen, ob es noch ein lebenswertes Leben ist für die Betroffenen oder nicht. Ein furchtbares Thema. Danke dir.
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Du hast eine sehr zaubernde Art zu schreiben. Danke!
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Oh , vielen Dank, freut mich, dich ein klein bisschen verzaubert zu haben.
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Eine wirklich tolle Idee zu dem Wort. Mir gefällt, dass deine Geschichte zwar traurig ist, aber doch Hoffnungsschimmer enthält. Hat fast schon etwas Magisches.
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Eigentlich ist sowohl das pure Glück, wie das pure Unglück ziemlich selten.
Das Leben ist vielschichtig.
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Einfach ganz, ganz wunderbar. Vielen Dank!
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Es war eine der Geschichten,die sich selbst erzählten.
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Ich kann Ute zustimmen, dass es eine sehr schöne Geschichte ist. Zu Christiane Kommentar möchte ich sagen, dass es nur der Fantasie und der richtigen Assoziationen bedarf, um sie mit sich selbst zu verbinden. Das kann also bei jeder Geschichte geschehen, wenn man es zulässt. Liebe Grüße Monika
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Jetzt weiß ich zwar nicht, wer von meinen lieben Kommentatorinnen Ute heißt, aber was du über das Schreiben schreibst empfinde ich genauso.
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Da habe ich mich verschrieben. Das hat die Autokorrektur des Handys aus dem falsch geschriebenen Namen Katharina gemacht.
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Immer diese Geräte, die sich für schlau halten ….
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👍
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