Rettendes — Bücher

Langsam und nicht ohne Rückschläge finden sich Strategien mit den Angriffen der Kobolde umzugehen, nicht zu verzweifeln, nicht zu verrohen, wieder fröhlicher zu werden und vor allem mir die Worte der Jugendamtfrau wenn Sie nicht mehr können, sagen Sie rechtzeitig Bescheid endgültig aus dem Kopf zu scheuchen.

Was uns an diesen erfreuliche Punkt gebracht hat, stelle ich in dieser lockeren Serie Rettendes hier im Fundevogelnest zusammen.

Vielleicht kann der eine oder die andere für sich Nutzen daraus ziehen. Mich manövriert Lesen immer wieder aus gedanklichen und emotionalen Sackgassen heraus und gibt mir das beruhigende Gefühl, nur Probleme zu haben, die andere Menschen schon gelöst haben. Warum sollte mir also nicht dasselbe gelingen?

Neben unzähligen Blogs und Foreneinträgen haben mir in letzter Zeit zwei recht unterschiedliche Büche weitergeholfen.

(Der Ordnung halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen: Weder die Autoren noch die Verlage wissen von diesem Text, geschweige denn, dass ich bezahlt werde. Das eine Buch habe ich gekauft, das andere geschenkt bekommen.)

Eine wirkliche Wende brachte: Herausforderndes Verhalten vermeiden von Bo Hejlskov Elvén. Im Original heißt das Buch No Fighting. No Biting. No Screaming., was ziemlich genau meine Wunschliste für die nähere Zukunft ist.

Elvén bezieht sich vorwiegend auf Menschen mit Autismus, ADHS und anderen Entwicklungsstörungen, wobei ich bemerkenswert finde, dass in keinem seiner zahlreichen Beispiele das Fetale Alkoholsyndrom vorkommt, was das Buch aber nicht weniger hilfreich macht.

Die zentrale These lautet:

Menschen, die sich richtig verhalten können, werden es auch tun.

Wer ausrastet, hat einen Grund und diese Ursache gilt es zu finden und möglichst aus der Welt zu schaffen, anstatt den Ausrastenden noch zusätzlich zu disziplinieren.

Ich kenne es von mir selbst, zwar wird Konsequenz seit Jahren schon als Goldenes Ei der Kindererziehung gepriesen. Aber mal ehrlich? Wer ist schon immer konsequent? Ich bin es nicht. Meine Freundinnen waren es nicht und meine Eltern ganz bestimmt nicht.

Wenn aber die pseudokonsequente Feld-Wald- und Wiesenerziehung nicht den gewünschten Erfolg bringt, sondern das Kind die Erziehenden auf Schritt und Tritt blamiert, rast das innere Räderwerk los ich muss konsequenter sein, ich muss strenger sein, ich muss, ich muss, Kinder brauchen Grenzen, dieses Kind braucht wohl noch mehr Grenzen, ich muss,ich sollte, ich versage…

Und das Publikum der Schreianfälle, der auf die Straße geworfenen Gegenstände, Tritte und Spuckereien sekundiert begeistert Konsequenter! Konsequenter! Bei mir gäbe es das nicht!

Nur was ist, wenn die Konsequenzen nichts bringen? Wollte man bei einem Kind vom Kaliber des Kleinen Fundevogels bis in letzter Konsequenz konsequent sein, würde es wohl am Ende totgeprügelt in der Ecke liegen. Ich bin übrigens überzeugt: viele totgeprügelt in der Ecke liegende Kinder waren vom Kaliber des Kleine Fundevogels.

Was keinen einzigen Schlag entschuldigt. Nie.

Bo Elvén verurteilt jede Form von erzieherischer Gewalt, insbesondere Festhalten und Fixieren und widmet seine Buch einem autistischen Mann aus Schweden und einer siebenjährigen US-Amerikanerin mit ADHS, die an Erziehungsmaßnahmen gestorben sind. Auch ich will mein Kind nicht mehr festhalten wie ein Cop einen durchgeknallten Demonstranten. Nein, nein, nie, nie mehr.

Und kommen Sie mir jetzt nicht mit einfach lieb und verständnisvoll erklären, ich habe das durchaus ausprobiert.

Die simple Erkenntnis, dass nicht mehr Erziehung, sondern einfach ein grundlegend anderes Vorgehen sinnvoll ist, leuchtet ein. „Viele haben eigentlich nur deshalb eine Diagnose bekommen – weil man mit Erziehung bei ihnen nicht weiterkam.“

Elvén sensibilisiert für den oft hohen Stress der Betroffenen, die er konsequent „Service-Nutzer“ nennt, was für mich als Mutter irgendwie befremdlich klingt.

Wessen Stress auch immer – es lohnt sich wirklich ihn zu reduzieren, gar nicht erst in die Kampfsituation zu rutschen, durch vorausschauendes Manövrieren, durch Eingestehen, dass Dinge unmöglich sein können, die für andere Selbstverständlichkeiten sind. Rückzugsmöglichkeiten, wie umherlaufen, „seltsame“, aber harmlose Verhaltensweisen oder auch sich in einen zu Schrank verkriechen als positive Lösungsstrategien würdigen.

Und wenn der Stresstopf doch wieder überkocht: Versuchen ruhig zu bleiben, leise zu bleiben, nicht bedrohlich (normalerweise als „klar“ angepriesen) wirken, sitzen statt stehen, Berührung vermeiden, ein paar Schritte zurücktreten, denn Gefühle stecken an. Auf Forderungen verzichten bzw. anerkennen, aus was für Gründen auch immer, kann ihnen in diesem Moment nicht Folge geleistet werden kann – und nächstes Mal realistischere Anforderungen stellen.

Ein neuer Lieblingssatz: Nachgeben ist eine unterschätze pädagogische Methode.

Ablenken auch. Das habe ich beim Kleinen Fundevogel schon immer intuitiv getan.Koboldsprays und Koboldumleitungsschilder haben uns schon aus manchem Sumpf gezogen. Nun versuche ich die Ablenkung gezielt einzusetzen und yeah es funktioniert erstaunlich oft.

Noch ein letzter neuer Lieblingssatz. Intervention statt Konfrontation – Eiscreme ist besser als Streit.

Vielleicht wäre es vorgestern, als der schlimmste Koboldangriff seit Wochen stattfand und ich mein Kind zu seiner eigenen Sicherheit im Straßenverkehr doch wieder festhalten musste und von einem Passanten heftigst dafür getadelt wurde, besser gelaufen, wenn sich ein Eisstand in der Nähe befunden hätte.

Wenn auch das ganze Konzept auf den ersten Blick wie resigniertes Nachgeben klingt– ist es nicht und hier passiert eindeutig mehr in die richtige Richtung, seit nicht mehr ein großer Teil der Kraft und Kreativität in sinnlose Kämpfe investiert wird.

Gewaltfreiheit war für mich immer der richtige Weg, aber auch der hilflose Versuch ein tobendes, schlagendes, schwere Gegenstände um sich werfendes Kindchen möglichst sanft und ruhig festzuhalten, fühlte sich zutiefst falsch an.

zeigt die beiden im Text beschriebenen Bücher auf einem Tisch

In einem Büchertauschregal winkte mir ein Buch mit dem verblüffenden Titel Wut ist ein Geschenk. (The Gift of Anger). Der Titel ist ein Zitat von Mahatma Gandhi, auf dessen Lehren ich immer, wenn ich mich moralisch orientieren muss, von neuem stoße. Der 1934 geborene Autor Arun Gandhi ist sein Enkel. Der hatte als Junge auch große Probleme mit seiner Impulskontrolle, war schon als Zwölfjähriger in Schlägereien verwickelt, begehrte gewaltsam gegen seine Unterdrückung als Mitglied der indischen Minderheit im Apartheidstaat Südafrika. Seine entnervten Eltern schafften ihn schließlich nach Indien in den Ashram seine berühmten Großvaters. Die Kur war erfolgreich und hat bei dem jungen Mann tiefe Spuren hinterlassen. Es ist ein persönliches, etwas unkritisch verklärendes Buch, das mich ermutigt meinen Weg mit dem Kleinen Fundevogel furchtlos weiterzugehen und mich gegen Kritik und Spott zu immunisieren.

Und der ungebändigten Wut nicht den Vernichtungskrieg zu erklären, sondern sie als Geschenk zu würdigen, ein Geschenk mit dem man umgehen lernen muss.

Das ganze Zitat lautet:

Wir sollten uns nicht für unsere Wut schämen. Sie ist eine sehr gute und sehr mächtige Sache, die uns motiviert. Aber wofür wir uns schämen müssen, ist die Art, wie wir sie missbrauchen.

Und das gilt auch für Eltern, wenn sie sich von der Wut ihrer Kinder anstecken lassen.

Mehr Rettendes findet sich hier:

Rettendes 1

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8 Gedanken zu “Rettendes — Bücher

  1. Myriade November 5, 2020 / 12:31 am

    Das klingt alles so, als müsste es unbedingt ausprobiert werden. Vielleicht kein Allheilmittel, aber sicher wert ausprobiert zu werden …

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    • fundevogelnest November 5, 2020 / 10:50 am

      Es fühlt sich weniger nach Allheilmittel als nach ersten Schritten auf einem gangbaren Weg an.
      So vielen Fachkräften ich das eine Buch nun schon empfohlen habe, sollte ich dem Autor vielleicht doch eine Werbekooperation anbieten 😉

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      • Myriade November 5, 2020 / 11:05 am

        Ja bzw ein Kapitel, das genau auf deine Bedürfnisse zugeschnitten ist 😉

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  2. Geschichten und Meer November 5, 2020 / 1:25 am

    Wenn ich etwas dazu bemerken darf: Ich war ein überangepasstes Kind in schwierigen Familienverhältnissen. Mit aufgestauter Wut hatte ich noch als Erwachsene lange zu kämpfen. Das besserte sich erst, als ich irgendwo vom gerechten Zorn las, und lernte, den gerechten Zorn von der sinnlosen Wut zu unterscheiden. Negative Gefühle waren verpönt und verboten wo ich aufwuchs. Sie – in Maßen – zuzulassen, herauszufinden, wo sie berechtigt waren und wo nicht, war ein (manchmal schmerzhafter) Lernprozess. für den ich länger gebraucht habe als andere. In der Kindheit werden Fundamente gelegt, und Eltern sind da vermutlich oft ebenso hilflos wie die Kinder, wenn letztere der Zorn buchstäblich schüttelt. Kinder so zu unterstützen, wie oben beschrieben, ist vermutlich wertvoll und hilfreich, auch wenn der Erfolg sich vielleicht erst viel später einstellt.

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  3. fundevogelnest November 5, 2020 / 11:12 am

    Ich glaube unsere Erziehung war nicht unähnlich … was bestimmt auch ein Teil des Problems zwischen dem Kleinen Fundevogel und mir darstellt.Eine Erziehungsberaterin erklärte mir, in Stresssituatoionen drängt das am frühsten Erlernte nach oben, weil es uns vermeintlich Sicherheit gibt.
    Wenigstens erkenne ich das inzwischen sehr sehr früh in der Situation.und kann ofrt umschwenken.
    Das Gute ist, dass ich schon zwei Kinder großgezogen habe, privat und beruflich unzählige Kinder betreut, mich weitergebildet und mich auch mit mir selbst auseinandergesetzt habe.
    Mit der normalen, erstrebenswerten kindlichen Wut kann ich inzwischen umgehen, behaupte ich mal.
    Wer sagt er kann reiten, fällt als erster vom Pferd…
    Der Kleine ist der Fortgeschrittenenkurs.

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  4. Wortverloren Januar 12, 2021 / 1:56 am

    Toller Beitrag. Den wich am liebsten ganz fett unterschreiben und schaue gleich mal nach dem ersten Buch. Danke für den Tipp!

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