Die Verschwörung der Dinge (ABC-Etüde)

Die neue Ärztin, so eine mit einem Zopf, aus dem keine einzige Strähne zippelt, behauptet ich würde dement.

Das ist Blödsinn. Ich war immer so. Von Anfang an haben mir die Dinge den Krieg erklärt.Trotzdem habe ich studiert, im Ausland gearbeitet, eine Tochter großgezogen, Bücher geschrieben, einen Bioladen geführt…

All das ist mir ohne nachhaltige Katastrophen gelungen und ich sage Ihnen, das war ein hartes Stück Arbeit.

Mit wenigen Ausnahmen mochte ich Dinge nie, habe nie Oblaten gesammelt, zusammenpassendes Geschirr oder feine Kleider gekauft.

Vielleicht war das der Fehler.

Sie rächen sich, entblößen mich aufribbelnd und krümelnd, rutschen über Kanten und zerschellen, ertränken sich gegenseitig im Tee, klemmen heimtückisch meine Finger ein.

Nie ist es mir gelungen sie zu beaufsichtigen. Schimpfe und Strafarbeiten gab es von jeher, wegen all der verlorenen Turnbeutel, Tuschkästen, Geodreiecke und Handarbeitsnadeln. Und Schlüssel, ach die Schlüssel meines Leben. Stets konnte ich über ihren Verbleib nur schwammige Angaben machen, selbst die waren Lügen, in Wirklichkeit wusste ich nie, wohin der Krempel sich hinterrücks aufgemacht hatte.

Bin immer eine gute Schülerin gewesen, nie getrödelt, habe jeden abschreiben lassen, aber die Dinge blamierten mich. Einmal hätte es fast Klassenkeile gegeben, weil ich für den Ausflug ins Freibad die schriftliche Erlaubnis der Eltern nicht dabei hatte, tausendmal hatte Frau Jensen gesagt, dass der Ausflug dann ausfallen muss. Aber dann hat sie mich einfach nach Hause geschickt. Am Ende bin ich immer entkommen.

Heulen lassen haben mich die Dinge mit ihren Attacken, mich in den Selbsthass getrieben.

Doch das ist vorbei.

Kostbar ist anderes, auch wenn das ständige neu beantragen von Ausweisen und Girocards nervt, es berührt nicht den Kern.

Habe akzeptiert, dass ich nie wohlgeordnet und gebügelt und klettenlos wie diese Ärztin sein werde.

Mit dreiundachtzig habe ich nichts mehr zu verbergen.

Von wegen dement – nennt mich Veteranin.

Autobiographisch?

Noch nicht zumindest, aber Ähnlichkeiten sind durchaus vorhanden. Es war jedoch eine alte Bekannte, die mir als ich sie das letzte Mal sah, empört erzählte, ihr Arzt behaupte sie würde dement, das sei Quatsch sie sei schon immer sehr fahrig gewesen. Der Arzt hatte wohl leider recht.

Aber ich fühlte mich erkannt.

Eva, wo immer du bist – dieser Text ist auch für dich.

René danke ich für diese sehr ungewöhnlicheWortspende (Klassenkeile, trödeln, schwammig) und Christiane der Hüterin der Etüden für diesen wundervollen Rahmen. Schauen sie bei ihr vorbei, dann dürfen Sie lesen, was alles zu der Wortspende zusammenkan.

Und Mitmachen ist auch erlaubt – auch ohne eigenen Blog.

Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt, die Daten speichert, verarbeitet und an den Spamerkennungsdienst Akismet sendet. Ich selbst nutze die erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.

10 Gedanken zu “Die Verschwörung der Dinge (ABC-Etüde)

  1. Myriade März 21, 2021 / 12:15 am

    Ja, die Sache mit den Oblaten habe ich mir gemerkt, weil das für mich Tortenbestandteile sind. Doch ein bisschen autobiografisch 😉

    Like

    • fundevogelnest März 21, 2021 / 11:28 pm

      Tatsächlich habe ich mich wegen dieses Gesprächs neulich an die Obaten erinnert.
      Ich hatte ja sehr viele, aber die Schusseligkeit ist höchst autobiographisch und geht mir selbst höllisch auf die Nerven.

      Gefällt 2 Personen

  2. Christiane März 21, 2021 / 10:40 am

    Veteranin ist toll. Ich empfinde mich nicht so, aber trotzdem lässt es etwas in mir klingen – ich muss mal grübeln, wo der Henkel zum Anfassen ist. 🤔😁👍
    Danke dir, wie immer, ich nehme deine Etüden auch, wenn sie zu spät sein sollten, wichtig ist, dass du sie schreibst …
    Und viel Spaß in der Fischbeker Heide!
    Sonntagmorgenkaffeegrüße 😁🌼⛅☕🥨🧀🍎👍

    Gefällt 1 Person

    • fundevogelnest März 21, 2021 / 11:35 pm

      Falls du die Spur noch findest, würde ich mich freuen, wenn du noch mal kommentierst.
      Die Heide ist wunderschön.
      Warst du mal da, wenn sie blüht?
      Das muss ja überwältigend sein.

      Gefällt 1 Person

      • Christiane März 22, 2021 / 8:30 am

        Mach ich …
        Ich habe die Heide letztes Jahr am Wilseder Berg blühen gesehen, für die Fischbeker Heide war ich bisschen zu spät. Passiert mir dieses Jahr nicht 😁
        Ich glaube auch, dass das toll aussieht. Warten wir auf den Sommer. 😁☕🍪👍

        Gefällt 1 Person

  3. Katharina März 21, 2021 / 3:34 pm

    Veteranin finde ich klasse. Dement ist so ein unschönes Wort und sagt anfangs noch nichts aus. Ein interessanter Einbluck in ein Leben.

    Gefällt 2 Personen

    • fundevogelnest März 21, 2021 / 11:33 pm

      Schön, dass euch die Veteranin gut gefällt. Ich kam nämlich erst im letzen Moment drauf und mit der Wortzwackschere durch den Text zu gehen, um Platz für diesen Halbsatz zu schaffen, war fast das langwierigste an der ganzen Etüde.

      Gefällt 2 Personen

  4. eva März 30, 2021 / 10:22 pm

    Veteranin! Juhuu! Die Geschichte ist klasse.

    Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.