Vom Gesehen werden, von Kürbissen und Gespenstern

Letzte Woche nun, da wollte ich die Hecke zwischen Bienenstand und Hochbeet ein ganz klein wenig auslichten, sonst kommt man da bald nicht mehr durch und die Blaubeerpflanze muss auf Nachtschattengewächs umsatteln. Da rumpelt es, da pumpelt es und vor meinen Füßen baumelt orange leuchtend ein Kürbis. Knapp neun Kilo leuchtendes Orange wussten sich einen Sommer lang trefflich zu verbergen, während seine Geschwister von mir gehegt, gepflegt, in Fruchtschutzbeutel gesteckt und kuschelig unterpolstert wurden.

Kürbis auf gemusterter Tischdecke

Man sollte seinen Kürbissen vielleicht einfach etwas mehr Vertrauen schenken.

Zu Halloween gibt es dann sopaipilla, mit Sirup bestrichene fetttriefende köstliche Kürbispfannkuchen nach dem Rezept eines chilenischen Freundes. Eine Freundschaft, die auf schmerzlich verwirrende Weise verloren ging, aber das Rezept das steht da noch, aufgeschrieben an einem fröhlich überdrehten Novembertag. Ein Foto gibt es von diesem Tag, nicht von uns, von unseren kleinen Jungs, die mit leuchtenden Augen am Computer zocken. Für meinen Großen das erste Mal einer großen Leidenschaft.

Zu den sopaipillas gibt es dieses Jahr Gespenstergeschichten und der Kleine Fundevogel sagt herzallerliebst Gedichte auf, einfach so, weil er da gerade Lust zu hat und vielleicht auch weil alle das so toll finden und am Süßen nicht sparen. Von Haustür zu Haustür gehen mit seinen Gedichten, das darf er leider nicht, dabei ist er gerade im besten Alter dafür, aber der ewige Verschwindetrick, der macht mich fertig, so gespenstisch brauche ich es selbst an Halloween nicht.

noch ein gespenst

Sonntag, da war es erst ein paar Tage her, dass der kleine Verschwindegeist über den Zweimeterzaun des Bauspielplatzes getürmt war, während die Betreuerin beschwor, das Tor die ganze Zeit im Blick gehabt zu haben. Da musste eine U-Bahn gestoppt werden und das mitten im Feierabendverkehr und dann noch eine weitere. Der Herr Olponator hätte seine helle Freude gehabt.

Während dieser spannenden Ereignisse wurde die Frau Fundevogel am anderen Ende der Stadt von einer mehr als genervten Polizistin herunterputzt, der gehört in eine Einrichtung, ich weiß genau, warum ich gegen die Abschaffung der geschlossenen Heime war.

Die Frau Fundvogel erwägt ihre geliebten Listen um eine Strichliste zu erweitern, die die Häufigkeit der ersten Hälfte dieses Satzes in ihrem derzeitigen Leben erfasst. Solches hilft gegen die eigenen Kobolde ganz gut.

Einatmen, ausatmen, eigene Impulskobolde bitten sich zu setzen. Sie wissen aber noch, dass wir von einem siebenjährigen Kind sprechen? Am Ende war sie ganz freundlich und auf jeden Fall hilfreich.

Aber bitte so schnell nicht wieder.

Du willst gesehen werden. Immer. Man darf dich nicht eine Sekunde nicht sehen, sonst bist du weg, sage ich dem Verschwindekünstler auf den Kopf zu. Wer so ein Leuchten auf seine Worte erntet, hat einen Volltreffer gelandet hat

Ahnte ich doch, was tief hinter aller Abenteuerlust und Dreistigkeit steckt. Der Schmerz des ungesehen Schmerzes. Das Gefühl wie Gespensterhauch zu verwehen, sobald da keine mehr steht. Leicht macht er es einem das Sehen nicht, da muss schon alles gegeben werden.

Das Jugendamt hat einen gefunden, der geht nun einmal die Woche mit dem Vögelchen auf Tour, ganz viel Gutes soll das für das Vögelchen bewirken. Erziehungsbeistandschaft heißt das ganz hochoffiziell und ist wahrscheinlich eine richtig teure Sache. Ob die Wunder nun eintreten oder nicht, er wirkt wie einer, den das Vögelchen mögen wird. Freundlich und stark.

Und Mama Fundevogel darf mal kurz in eine andere Richtung gucken.

Am Halloweenabend möchte die Frau Fundevogel dann ihren eigenen Nachtgespenstern frei geben. Ist doch ihre Nacht, sollen sie sich zur Geisterstunde unbeschwert kichernd und heulend im Tanze drehen.

Sie möchten nicht.

Möchten die Frau Fundevogel nicht aus den Augen lassen, wissen sie wäre nicht sie ohne sie.

stoffgespenster

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6 Gedanken zu “Vom Gesehen werden, von Kürbissen und Gespenstern

  1. geschichtenundmeer November 5, 2021 / 5:51 pm

    Meine Nachtgespenster saßen dieses Jahr trotzig in einem Winkel, kamen nicht heraus (dabei hätte ich endlich einmal Ruhe und Zeit für sie gehabt), sondern stellten mir höchstens einmal aus dem Hinterhalt ein Bein. Der kleine Fundevogel ist schon etwas Besonderes. Ich hoffe, es klappt mit dem Erziehungsbeistand.

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  2. fundevogelnest November 5, 2021 / 10:30 pm

    Meine Nachtgespenster schaffen es eigentlich sehr zuverlässig mich irgendwann zwischen Mitternacht und Morgengrauen zu wecken und mir was ins Ohr zu wispern am liebsten von meiner Schuld, meiner Unfähigkeit und meinem Versagen, meiner Schusseligkeit, Feigheit, Lieblosigkeit und was es da noch so gäbe Sie raunen vom Schwinden der Arten und dem Ende der Welt, wie ich sie liebe.
    Bein stellen aus dem Hinterhalt können sie auch ganz gut.

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  3. Pega Mund November 5, 2021 / 11:50 pm

    ah, dass die chemie stimmen möge, das wünsch ich dem vögelchen und seinem beistand!

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    • fundevogelnest November 6, 2021 / 1:46 pm

      Der erste Eindruck war sehr positiv. Richtig los geht es erst nächste Woche

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  4. Olpo Olponator November 6, 2021 / 8:08 am

    Der Herr Olponator hat natürlich mit den Mundwinkeln gezuckt, als er vom 2Meter-Zaun las – aber die Zuckungen hielten nicht lange, dazu ist er zu erwachsen und war es wahrscheinlich schon zu jener Zeit, als er selbst noch ebenso ungeniert abenteuerlustig war. Ein interessanter Film dennoch, das mit der U-Bahn. Und die Frau Oberunterwachtmeister hatte auch Herz, wie schön, vielleicht auch selbst nicht ganz unproblematische Kinder. Der Herr Olponator glaubte aber nie, daß sich das Fundevögelchen auf die Schienen stellen würde – aber um andere Gefährlichkeiten, unabwägbare, weiß es natürlich nicht Bescheid… wenn die Angst vor Unsichtbarkeit besprochen wurde, sind vllt neue Entwicklungen möglich. Glückwunsch zur Idee !
    Der Herr Olponator hofft, daß der Herr Erziehungsbeistandschafter mit dem Fundevögelchen auch in die Natur gehen wird und ihm das zeigen kann, was kleine und große Jungs verbindet, das gelebte Abenteuer, im Kopf ist es reichlich vorhanden, aber das reicht nicht. Die Geister der Ängste wird manfrau nicht los, dazu sind sie zu real – aber über ihnen zu stehen, das geht, manchmal.

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    • fundevogelnest November 6, 2021 / 10:42 pm

      Nein selbstmörderische Absichten hat der Kleine Fundevogel gottlob nicht.
      Sie haben die Bahn angehalten , um ihn darinnen zu suchen, nicht davor- und der nette Fahrer ließ ihn dann in die Fahrerkabine schauen, seine Charme hilft ihm schon weiter, während ich auf der einen polizeiwache gemaßregelt wurde, bekam er auf der anderen ein Ausmalheft..
      Er hat selbst zugegeben, dass das ziemlich unfair ist.
      Aber an der anfahrenden Bahn rumspielen, arglos netten Menschen nach sonstwo folgen,oder bei den weniger netten allen Charme fahren zu lassen und mit einem nun wirklich nicht altersgerechten Wortschatz loszupöbeln, ist auch nicht gut
      Naturerlebnisse bekommt er hier viele

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