Osternacht (sehr späte ABC-Etüde)

Mit ratlosem Wohlwollen akzeptierten ihre Eltern, dass ihre Tochter dieses Ostern in den Armen der Kirche und mit Jadwiga verbringen würde.

Kaum hatten sie ein paar Stunden nach der durchgemachten Gründonnerstagsnacht geschlafen, rannten sie in den Gottesdienst zur Sterbestunde Jesu. Am Karsamstag, an dem die Gläubigen doch in andächtiger Stille verharren sollten, waren die Jugendlichen aufgerufen, die Kirche zu schmücken mit dem Grün der jungen Birken, mit Osterglocken, Tulpen und vor allem Buchsbaum, den sie an diesem Tag eimerweise im Kirchgarten schnitt, weil Jadwiga ständig mehr davon verlangte.

Jadwiga hatte sich hingebungsvoll dem zentralen Element gewidmet, dem Kreuz mit dem zu Tode Gefolterten, das zental über dem Altar hing, sie flocht, sie entwarf, sie verwarf, ruhte keinen Moment und stellte alle anderen in den Schatten.

Dann endlich war sie da, die heiligste Nacht, seit bald zwei Jahrtausenden gefeiert und völlig neu für sie, die bisher nur den Osterhasen gekannt hatte.

Das Feuer auf dem Kichplatz warf seinen Widerschein auf das junge Gesicht des Priesters, heute in Weiß und Gold gewandet entzündete er am Feuer die Osterkerze, trug sie hinein in die dunkle, dunkle Kirche, sang Lumen Christi! Deo gracias! Die getragene Stimme, das einsame Licht, weitergegeben an die kleinen schmale Kerzen, die jede und jeder in den Händen hielt, es wurde heller und Jadwiga stand neben ihr. Das war der allerschönste Moment, gesegnet, liebkost, von allem was je war, entgiftet.

Zum Gloria fing die Orgel wieder an zu spielen, die Glocken läuteten, die Großen, die Kleinen, der magische Moment war vorbei. Das verschwurbelt, blumige in manchen Gebeten fiel ihr wieder auf, die Füße taten weh vom müden Stehen in der übervollen Kirche,.

Sie suchte Jadwigas Blick mit den Augen, doch die war beschäftigt mit ihrem so gelungenen verzierten Kreuz.,

Sie versuchte zu beten, aber eigentlich wusste sie nicht wie das geht.

Auf Karfreitag folgt unweigerlich Ostern, weshalb die Etüde vom Donnerstag noch eine Fortsezung hat, dazu habe ich auf die schon länger verflossene Wortspende von Maren (siehe Grafik) zurückgegriffen, deren Blog den netten , optimistischen Namen „Ich lach mich gesund“ trägt. Mit tat es leid, ihre Wortspende einfach liegen gelassen zu haben.

Dass die Freundschaft zu „Jadwiga“ keine einfache wurde, hat sich in der Rückschau in die Zeilen geschlichen und das Ende, vor wenigen Jahren erst, war verstörend.

Trotzdem möchte ich ich sie nicht missen in meinem Leben, genausowenig wie die Begegnung mit der Kirche, wenn sie uns auch beide nicht als Gläubige hinterließ, hat sie doch Spuren hinterlassen.

Wir wären ärmer geblieben ohne diese Zeit.

Ihnen und euch allen einen schönen Ostermontag.

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10 Gedanken zu “Osternacht (sehr späte ABC-Etüde)

  1. Christiane April 18, 2022 / 12:35 pm

    In meinem Leben hat die Kirche als Institution wenig Spuren hinterlassen (trotz Konfirmation etc. und dem Besuch eines katholischen Gymnasiums (ja, ich auch)), dafür interessiere ich mich seit meiner Kindheit für Religion(en) und Spiritualität. Deine Etüde weckt jede Menge Emotionen und kostbare Erinnerungen, die ich allesamt öffentlich eher nicht teilen mag, aber ich kann mich gut in das hineinversetzen, was du beschreibst. 🧡
    Danke, dass du das Thema noch einmal aufgegriffen hast. Ich habe deine Etüde in der Liste nachgetragen.
    Ostermontaggrüße in den Norden! 🌞☕🍪🌼🦋👍

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    • fundevogelnest April 18, 2022 / 10:39 pm

      Wenn mein Text etwas anstößt und bewegt, freue ich mich.

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  2. wildgans April 18, 2022 / 12:49 pm

    Auf das Ende der Geschichte bezogen: Es ist egal, ob man weiß, wie Beten geht, finde ich. Hauptsache ist doch, man richtet Worte weit ins Irgendwohin…tief aus dem Innern…

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    • fundevogelnest April 18, 2022 / 10:40 pm

      Mir ist das nie mich selbst überzeugend gelungen.

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  3. lachmitmaren April 18, 2022 / 2:18 pm

    Oh ja, das weckt Erinnerungen … . Auch das mit dem Buchsbaum, der immer eine besondere Rolle spielte in der Osterzeit. Dass es Jadwiga so wichtig war, das Kreuz zu Ostern so schön zu schmücken, zeigt, dass sie es wohl nicht nur als „Folterinstrument“ wahrgenommen hat. Sondern vielleicht auch als etwas Beschützendes, Halt gebendes (im Sinne der Kirche ja auch für die „heilige Dreifaltigkeit“ Stehendes). Vielleicht empfand sie eine Dankbarkeit für diesen Halt und war glücklich, diese auf die Art zeigen zu können. Manchmal ist es einem ja umso wichtiger, diese Dankbarkeit zu zeigen, je mehr man vorher auf etwas geschimpft hat, weil man das Schimpfen im Nachhinein selbst als zu einseitig wahrgenommen hat. Inzwischen wird sie diesen Halt von Außen wohl nicht mehr brauchen. Sich emanzipiert haben von äußeren Stützen – und auf eigenen Füßen stehen. Und vielleicht macht inzwischen genau das sie glücklich, und sie ist darauf so stolz, wie damals auf das schön geschmückte Kreuz?

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    • fundevogelnest April 18, 2022 / 10:43 pm

      Ich weiß leider nicht wie es ihr heute geht.

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  4. gkazakou April 18, 2022 / 3:05 pm

    Dieser Zwiespalt zwischen zwei Bewusstseinszuständen oder Wahrnehmungen scheint mir ganz charakteristisch für uns moderne (aufgeklärte) Menschen. Einerseits werden wir sehr wohl noch im Innersten angerührt durch die alten Rituale der Opferung und Auferstehung, die uns mit dem GroßenGanzen verbinden, andererseits sind wir so sehr auf uns selbst zusammengeschnurrt und geschrumpft, so sehr von unserer Vertandestätigkeit eingenommen, dass wir die Schauer, die die mystische Berührung erzeugt hat, sofort abschütteln, wenn wir „ins helle Tageslicht der Vernunft“ zurückkehren. Dann tun uns die Füße weh, wie wissen nicht, wie Beten geht, und wir sehen, dass unsere Freundin vor allem mit ihrem eigenen Werk beschäftigt ist.
    Eine Erinnerung: Wir stiegen, „heidnisch“ gesonnen, nach dem Konfirmandenunterricht in die (evangelische) Sakristei ein, um zu erforschen, welchen Sakramentswein der Pfarrer benutzte. (Es war zu unserem großen Vergnügen „Kröser Nacktarsch“). Doch mein erstes Abendmahl, das ich damals bekam, hat mich tief erschüttert, ich empfand eine Art mystischer Verbindung zu den anderen Menschen im Raum und zur Gottheit. Ich war damals wohl 13.
    In gewisser Hinsicht ist es bis heute so geblieben: Spaltung zwischen dem spottenden Ich und der heilig erschauernden Seele.

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  5. fundevogelnest April 18, 2022 / 10:45 pm

    Ja, dieses zwiespältige kann ich gut nachempfinden.
    Kinfirmiert bin ich ja auch, daran habe ich seltsamerweise kaum emotional bewegende Erinnerungen,obwohl der Entschluss dazu aus freien Stücken kam

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  6. Myriade April 18, 2022 / 11:39 pm

    Der Blick von außen findet es seltsam, dass ein Folterinstrument geschmückt wird …

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