Mein einst süßer Schlaf hat sich davongemacht wie ein Liebhaber, der eine Jüngere gefunden hat.
Mama ist mondsüchtig, witzeln die Mädchen, wenn sie mich bei ihren habschlafenden Toilettengängen am Fenster stehen sehen. Ich wäre zufrieden, läg ich nur in Vollmondmächten eingesponnen da, mit klopfendem Herzen, preisgegeben dem Schwinden der Tiere. Tagsüber suchen meine Augen nach Faltern und Vögeln, vielleicht wird der flüchtig übers Firmament huschende Mauersegler nicht bleiben können.
Kaum Insekten, die Blüten stehen leer.
Die Kleine muss morgen in der Schule einen Vortrag über Giraffen halten. Ich murre ein bischchen, kaum ein Grundschulkind kann eine Kohl-von einer Blaumeise unterscheiden, aber mit Exoten und ausgestorbenen Stegosaurieren kennen sie sich aus.
Wir lernen, Giraffen sind nur scheinbar annährend stumm, sie kommunizieren per Infraschall, extrem langwelligen Tönen, die sich für Menschen unhörbar über große Strecken im Erdreich fortsetzen können. Vielleicht wissen Giraffen, wo der Schlüssel zur Rettung der Welt liegt, nur wird kein Mensch das je erlauschen können.
Gefährdet sind Giraffen natürlich auch, seit 2016 stehen sie auf der Roten Liste.
Wollte mein Kind nicht über Eichenprozessionsspinner und Mehlmotten referieren, könnte es mittlerweile schwer sein, eine nicht gefährdete Spezies zu finden.
Vielleicht sollten wir die Kinder von der Schönheit des Schwindenden verschonen, damit sie diesen Schmerz nich aushalten müssen.
Doch wie jede Spezies dieses Planeten stelle ich mein Sein auch in einer leeren Welt nicht infrage, trotzig lebend für meine Nachkommen sorgend.
Mein Kopf brummt seltsam tief, ich halte diese Gedanken nicht mehr aus, kämpfe mich hoch, öffne das Fenster und sehe in ein sanftes, langbewimpertes Auge.
Unmöglich, wir leben im zweiten Stock, so langhälsig sind selbst Giraffen nicht.
Irdisch warm ist ihr Atem, den Geruch nach Gras und Lebendigkeit kann man doch nicht träumen.
In ihren Augen erkenne ich meine Traurigkeit.
Sanft drücke ich ihr einen Kuss auf das Fell.

Dieses Frühjahr empfinde ich als sehr arm, gut, das mag auch an der Kühle liegen, aber auch in anderen kühlen Maimonaten summte mehr. Die sehr späten Mauersegler scheinen nun aber doch noch einzutrudeln. Mal sehe , was sie zu dem für sie gekauften Nistkasten sagen werden.
Myriade danke ich für ihre poetische Wörterspende (Giraffe, mondsüchtig, suchen) zur aktuellen Etüdenrunde und Christiane für die ganze Arbeit drumrum.
Schauen Sie sich bei ihr um, es gibt viel über Giraffen zu sehen.
Die Informationen meiner Protagonistin stammen aus der YouTubeReihe „Der Schlaumacher“ und dem Jahresbericht des IUCN.
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Ein melancholischer Endzeittext ist das mit surrealen Elementen wie der Giraffe im zweiten Stock, zwischen poetisch und verstörend … Und auf jeden Fall durchdringend leise
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Fürchte ich das Ende der Zeit oder doch eher nur das Ende der Welt, wie sie mir vertraut und lebenswert erschien.
Vor zwanzig Jahre habe ich hier beim Spazierengehen Kiebitze gesehen und die Pfauenaugen hingen nachts in Trauben unter der Decke.
Es zerreißt mir, das Herz, dass es nicht mehr so ist.
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Sie erschüttert mich, deine Etüde. Dass es weniger summt, beobachte ich auch, wie du habe ich es bisher auf die Kälte geschoben. Das mit der Roten Liste wusste ich nicht 🦒😢
Den Unterschied zwischen Kohl- und Blaumeise könnten Eltern leicht vermitteln. Aber was ist, wenn es sie selbst nicht mehr interessiert?
Sonntagmorgenkaffeegrüße und wieder einmal danke 🧡🌤️🌼☕🍪🦋👍
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So vieles schwindet unwiederbringlich, unbemerkt, schwer liegt das auf meiner müden Seele.
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