Wir leben in einem kinderreichen Quartier, egal in welche Richtung man geht, nach kurzer Zeit läuft man unweigerlich an einer Grundschule vorbei, dementsprechend ist morgens viel Bewegung in den Straßen.
Heute schimmern zwischen den Säumen der dicken Winterjacken und den gefütterten Gummistiefeln gerüschte Prinzessinnenröcke und Spidermanbeine hervor, unterm Rand der Mützen und Fahrradhelme gucken einen Katzen- und Piratengesichter an, statt Ranzen trägt kind am Faschingdienstag Salatschüsseln und Tupperdosen..
Ein kleines Mädchen krallt ihre eine Hand um den Griff eines Kuchenbehälters, während sie mit der anderen versucht ihren Hexenhut vorm Wegfliegen zu bewahren. Ein sanft geschminktes Hündchen ballert mit dem Laserschwert seines Freundes auf eine Fussgängerampel. Ein Pirat zeigt jedem stolz sein Fernrohr.
Mag es in Hamburg auch keinen Karneval geben, der Faschingsdienstag gehört den Schul-und Kindergartenkindern.
Unter der Winterjacke des Kleinen Fundevogels schwingt und glitzert ein „Elsakleid“, also mehr oder weniger das, was die Eiskönigin im gleichnamigen Disneyfilm trägt.
Seines sitzt ziemlich knapp, denn die Mama Fundevogel hat mal wieder nicht bedacht, dass Kindergröße 134 bei Mädchensachen deutlich kleiner ausfällt als bei Jungssachen, obwohl man ja annehmen sollte, dass eine Größenangabe, die sich an der Körperhöhe des Kindes orientiert, einigermaßen genormt sein müsste.
Weder überraschte die hohe Zahl der Eisköniginnenkleider auf dem Schulhof, noch dass die in ihnen steckenden Kinder alle Mädchen sind.
Zugegeben, ich hatte Zweifel ihn so loszuschicken, gerade mal eine Woche neu in der Klasse, wird es da nicht Spott und Ausgrenzung geben? Aber dem Kleinen Fundevogel ist nie etwas peinlich, das ist, wenn es sich um einen Kleinkindtobsuchtsanfall eines Neunjährigen im Supermarkt handelt, mir wiederum peinlich, aber heute finde ich ihn einfach cool.
Man geht zum Fasching als das, was man nicht ist, sagt er streng zur ersten, die ihn fragt, wieso er in einem Mädchenköstüm steckt.
Dass „Elsa“ seit gut 14 Tagen bei uns wohnt und nachts in unserem Kühlschrank schläft, erzählt er nicht.
Die Elsa, mit den Superkräften, die sie in ihrer Impulsivität nicht unter Kontrolle halten kann und so ihr gesamtes elterliches Königreich im Zustand der Raserei tiefgefriert und fast ihre geliebte kleine Schwester ins Verderben reißt.
Sie hat Superkräfte, Eispower, aber sie kann das nicht unter Kontrolle halten. Also das schafft sie nicht ihre Superkräfte kontrollieren und dann noch alles andere schaffen, was sie auch noch machen muss.Das schafft sie einfach nicht, obwohl sie das so gerne schaffen würde.
Wie es sich für einen Film gehört, wird am Ende alles gut.
Beim Abholen ist das Kleid, mit dem die Filmkönigin durch Schluchten und Flutwellen reitet, ohne das es Schaden nimmt, ziemlich schlammig und an einer Stelle eingerissen.
Wir war es?, frage ich.
Geil.
Differenziertere Schilderungen bekomme ich nicht, nur dass die von ihm fast allein gebackenen Waffeln allen geschmeckt haben.
Wenn jemand gespottet hat, erzählt er es nicht, aber er wirkt glücklich, gefriert an diesem Tage nichts mehr tief.
Viel Ruhe ist im Nest eingekehrt, seit er die heilpädagogische Waldorfschule – in der er wegen „seiner Ängste“ unter Garantie nicht hätte am Fasching teilnehmen dürfen – hinter sich gelassen hat, sondern – mit der treuen Geleit seines wunderbaren Schulbegleiters – an der normalen Grundschule gelandet ist, mit der er nach Meinung so vieler hoffnungslos überfordert sein sollte.
Nach einer guten Woche, kann niemand seriöse Prognosen stellen, aber die Eiskönigin hat einen unvergesslichen Tag voller Leichtigkeit gehabt.
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Gutes Gefühl für das Kind irgendwie. Wie angekommen…
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Ich hoffe es.
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Ziemlich geniale Begründung. Glückwunsch und alles.
Morgenkaffeegrüße 🌧️☕🍪
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zum Fasching geht man als das, was man nicht ist – klingt ja großartig und verblüffend, für ein Kind aber fast schon unheimlich selbstdistanziert.
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Gerda, ich fand es erstaunlich naheliegend. Wenn auch für ihn gar nicht so zutreffend.
Er identifiziert sich wahnsinnig mit solchen Figuren und agiert tatsächlich häufig eher als Maus oder Eiskoenigin, als als er selbst.
Ich habe das natürlich auch raus und weiß, dass eine Anforderung an ihn selbst in der Regel zu einer Mischung aus Panik und Frontalangriff führt, während man mit seinen anderen Daseinsformen ganz gut reden kann.
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Danke, ich verstehe. Und natürlich kennst du ihn, ich aber nicht. Meine Fragen sind eher theoretischer Natur. Meine heutige Frage: Wenn er gern als Eiskönigin agiert, aber zugleich behauptet, man verkleide sich als etwas, was man nicht ist, und sich als Eiskönigin dann entschlossen zur Wehr setzt und wohl auch kloppt – was bedeutet das im anlaufenden Prozess der Integration der Persönlichkeitsbruchstücke? Die positive Antwort wäre: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung insofern, als das eigene Hilfsmodul zertrümmert wird. Möge es so sein. Der kleiner Findevogel ist mir und sicher vielen anderen auch durch deine Erzählungen ans Herz gewachsen.
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Liebe Gerda, das sind tiefgehende Überlegungen – ich behalte sie mal im Hinterkopf.
Ansonsten ist natürlich zu bedenken, dass das Kind bei einer Mutter aufwächst, die ihrtägliches (Über-) leben mit einem Vogel auf der Schulter, einem Drachen in der Handtasche und einer Fee im Garten bestreitet, möglicherweise färbt das ab 🙂 (bei den anderen Kindern allerdings nicht)
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Ja, das fand ich auch.
Lass dir den Mittagskaffee schmecken.
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Das hört sich total klasse an! Möge es in dieser Schule so weitergehen, sowohl mit seinem positiven Gefühl als auch mit der Toleranz der Anderen und überhaupt der offenbar guten Gesamtatmosphäre!
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Ja, ich genieße jeden Tag.
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Wie schön zu lesen, daß der Fundevogel in der neuen Schule einen guten Ort gefunden hat. Und sogar der Schulbegleiter kam mit.
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Ja, mit diesem Schulbegleiter hat der Fundevogel echt das große Los gezogen.
Da er bei einem externen Tröger angestellt ist, war der Wechsel kein Problem.
Und er kann jetzt zu Fuß zur Arbeit gehen.
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