Ozeane auf einem Frachtschiff überqueren, einem Pinguin in seinem natürlichen Habitat ins Auge blicken, mit einem Kanu durch Mangrovenwälder paddeln – ausgesprochen unwahrscheinlich, dass ich irgendetwas davon in den nächsten Jahren erleben werde, obwohl ich alle drei Vorstellungen überaus reizvoll finde.
Solche Abenteuer vertragen sich nicht mit dem Leben, das ich aus freien Stücken gewählt habe.
Das Fundevogelnest hält seine eigenen Abenteuer bereit:
Das jüngste Fundevögelchen und ich lieben streifen so oft es geht durch ein nahe gelegenes Naturschutzgebiet: Keine Autos, keine Türklingeln, keine elektrischen Schiebetüren. Mit einem Wort wenig Anlass hinter dem Fundevögelchen herzurasen, um es an irgendetwas, das es gerade ganz dringend tun muss, zu hindern.
Aber irgendetwas ärgert es dann doch und schwupps fliegt die Brille durch die Luft und landet… irgendwo. Im Gras? Im Gebüsch? Im Matsch??? Immer wieder erstaunlich wie unsichtbar sich so eine Kinderbrille machen kann.
„Wo ist deine Brille?“
„Da!“, zeigt nach rechts, zeigt nach links, zeigt ins Gras, zeigt ins Gebüsch, betrachtet mich interessiert beim Krauchen durch die nasse Vegetation.
Auf einmal huscht eine schwarze Eidechse, nicht länger als ein Kinderbrillenbügel, über meinen Handrücken. Ein Pinguin hätte mich nicht mehr entzücken können. Das Kind hat ja leider keine Brille auf und sieht deshalb nicht die erste Eidechse seines Lebens
Kurz darauf finde ich die Brille im hohen Gras.
Zwanzig Minuten später stehen wir auf einer Brücke und werfen Äste den Bach und plötzlich ist da ein so ein ganz anderes klingendes blubb und ein brillenloses, höchst zufriedenes Kind.
„Du hast jetzt nicht deine Brille in den Bach geworfen?“
Natürlich hat es das getan. Brillen schwimmen nicht, nach einer Weile stochern und starren kann ich sie wirklich im Bachbett ausmachen. Wäre ich in den Mangroven mit meinem Kanu durchgekentert, wäre ich nicht nur bis zum Po nass geworden und hätte vermutlich meine eigene Brille verloren.
Heute ein paar Tage später war es einfach ein wunderbarer Ausflug, findet mein kleiner Kamerad auch: „Brille Wasser schmissen“, ist die Story, die Geschwistern und Kitaerzieherinnen brühwarm hinterbracht werden muss.
Alles ach wie nervig, ach wie nasskalt, ach lernt der niemals hören tritt zum Glück schnell in den Hintergrund und die Vorfreude auf das nächste Abenteuer überwiegt.
Neben so Basisvoraussetzungen wie Liebe zu Kindern und einer gewissen inneren und äußeren Stabilität halte ich Abenteuerlust, Neugier auf Überraschendes, Unbekanntes, Abweichendes und sogar Störendes für eine der wichtigsten Eigenschaft, um das Leben als Pflegefamilie gelingen zu lassen. Dass einem egal ist, was andere über einen denken, hilft auch ungemein, daran arbeite ich allerdings noch.
Wer sein Leben gern in planbaren, mit dem Leben situierter Bekannten vergleichbaren Bahnen zieht, kann natürlich auch mit selbstgeborenen Kindern und dem Schicksal als solches sein blaues Wunder erleben. Mit Pflegekindern steigt nur die Wahrscheinlichkeit.
Die Abenteuer mit den Fundevögeln beschränken sich nicht auf lustig zu erzählende Brillensuchgeschichten, es gibt scheinbar endlose Dürrezeiten, Angriffe von Bestien, die man bis dato für Fabeltiere hielt und Abgründe von schauerlicher Tiefe. Am unheimlichsten ist mir der Blick auf die riesigen terrae incognitae in mir selbst, die Fundevögel haben Seiten von mir sichtbar gemacht, von denen ich nie ahnte, dass sie existieren. Ich gelange nicht nur gelegentlich an den äußersten Rand der Verzweiflung (acht Brillen in zwei Jahren, aufgebrachte Lehrer und ganz aktuell ein gekündigter Kitaplatz), sondern habe auch einen Ort kennengelernt, den ich den innersten Rand der Verzweiflung getauft habe, dann, wenn nicht außerhalb, sondern innerhalb die Dinge aus dem Lot geraten und sei es aus Erschöpfung
Das ist die Stunde derer, die fragen: „Na, bereust du es jetzt nicht doch?“
Nein. Nein. Nein.
Ich liebe die Fundevögel.
Und Abenteuer. Neue Welten entdecken. Und lägen sie im Naturschutzgebiet um die Ecke. Oder in den Abgründen meines Kopfs.
Oder im Bloggeruniversum. Diese Expedition startet jetzt und ich bin aus lauter Vorfreude schon ganz hibbelig und danke an dieser Stelle allen, die mich online und offline zu dieser Reise ermutigt haben.

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