Die Signatur (ABC-Etüde)

Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.

Kitty liest die neue Signatur unter Lauras Beiträgen, bleibt daran hängen wie die Zunge an einem beschädigten Zahn..

Seit sie Diego hat, ist dieses Internetforum quasi ihr zweites Zuhause.

Kitty ist dankbar dafür. Wäre sie keine digital native, hätte sie vermutlich ihre Welt von Horizont zu Horizont durchstreifen können und niemanden mit einer Diagnose wie der ihres Sohnes gefunden, hätte sich fremd gefühlt, unverstanden, gestraft.

Hier versteht man sie, hier gibt es kein klammheimliches Schaudern kaschiert als Bewunderung.

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Von der Kontrolle, ihrem Verlust und was dann noch alles passieren kann

Nun aber gibt es Abende im Fundevogelnest, die sind einfach scheußlich. Es sind jene Abende, an denen die Kobolde die Kontrolle über das Nest übernehmen. Sie tun das in der Gestalt eines Kindes, das an solchen Tagen in allen Ecken des Nests gleichzeitig zu sein scheint, alle Elektrogeräte auf einmal in Gang setzen oder – je nach destruktivem Bedarf – vom Netz nehmen kann, das alles Geld, alle Süßigkeiten, alle letzten nervlichen Reserven an sich reißen und dabei kein Knallen, kein Scheppern, kein Splittern auslassen kann.

Unerträglich laut und komplett unerreichbar für jegliche Stimme der Vernunft, für Verhandlungsangebote und für Drohungen schon mal gar nicht, ganz unabhängig davon, ob man diese wahr werden lässt oder nicht.

Jegliches hilfloses Herumzerren endet ziemlich sicher in einem Gerangel, das vermutlich in heftigster Gewalt münden würde, wenn ich mich nicht so im Griff hätte, wie ich es zum Glück habe. Ich habe mittlerweile eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie Kindesmisshandlung entstehen kann, aus überwältigender Hilflosigkeit- was nichts entschuldigt, wer hilflos ist, soll sich Hilfe suchen. Wobei ich die Male, die mir geraten wurde Gib ihm doch mal eins hinter die Ohren, nicht mehr zählen kann. Meine langjährige, intensive Auseinandersetzung mit Gewalt und gewaltfreiem Handeln, die ich in jungen Jahren hauptsächlich mit der Idee die Welt zum Besseren verändern zu können geführt habe, verhindert hier und heute zumindest den Vernichtungskrieg im Privaten.

Es scheint oft jedoch egal, wie sehr ich mich versuche nach außen hin gelassen und versöhnlich zu geben („Atmen Sie tief durch und tauchen Sie alles in goldenes Licht“). Hat irgendein kleiner Anlass die Eskalationsspirale einmal in Gang gesetzt, kann man eigentlich nur noch auf den gnädigen Erschöpfungsschlaf warten, der dem Spuk ein Ende setzt.

Um dann festzustellen, dass man selbst egal wie erschöpft, weder einschlafen noch etwas Anspruchsvolleres tun als die Spülmaschine ausräumen kann. Nie hätte mir vorstellen können mich in der Gegenwart eines Kindes so ohnmächtig fühlen zu können. Wo soll das denn bitte noch hinführen? Den Katastrophenzukunftsszenarien im eigenen Kopf nach solch einem Abend Grenzen zu setzen ist seelischeSchwerstarbeit. Gleichzeitig ist so deutlich zu spüren, dass das gehässige, triumphierende Lachen des Kindes ein Papiertiger ist, hinter dem nur mäßig kaschiert eine noch viel größere Ohnmacht zu erblicken ist.

Wer nicht weiter weiß, soll sich weiterbilden.

Was im Nest passiert, ist in den letzten Jahren recht gut erforscht worden, es passiert im Gehirn, im limbischen System, vor allem in der Amygdala auch Mandelkern genannt einem Bereich, der- sehr, sehr laienhaft und bestimmt auch nicht ganz richtig erklärt – unserer Gefühle bei Erlebnissen speichert, uns im wahrsten Sinne des Wortes das Fürchten lehrt. Wer zu viel und erst recht, wer sehr früh im Leben zu viele überwältigende Situationen überlebt hat, hat einen überstrapazierten Mandelkern, der schon bei geringsten Auslösern das ganze Paniksystem hochfährt.

Niemand will wieder und wieder Vernichtungsangst durchleben müssen und so versucht der Mensch die Kontrolle über die bedrohlichr Situation um jeden Preis wiederzugewinnen.

Nicht nur der Umgang mit dem Klimawandel zeigt auf, dass logisches Handeln nicht unbedingt die stärkstes Seite des menschlichen Geistes ist.

Beim Umgang mit starken Emotionen hat bestimmt jeder und jede von Ihnen schon erlebt, dass der Zugang zu nützlichen Bereichen des Großhirns im entscheidenden Moment ärgerlicherweise zugesperrt ist.

Stattdessen gibt es Menschen, die erstarren, die fühlen einfach gar nichts mehr, egal ob schrecklich oder wunderbar, andere versuchen zu beschwichtigen, verhalten sich bis zum Aberwitz überangepasst oder man flieht aus der Situation und meidet sie fortan, egal wieviel Kostbares sie auch für einen bereit haben könnte … oder … oder …

Und dann gibt es halt auch noch jene, die kämpfen, die kämpfen bis zuletzt gegen jene, die nichts Schlimmeres getan haben, als aus Versehen den gestressten kleinen Mandelkern anzurempeln.

Und viele Gehirne haben nicht nur eine Baustelle: Wenn die Fähigkeit Reize überhaupt zu filtern, die Impulskontrolle und was weiß ich nicht noch eingeschränkt sind, trägt das nicht zu Koboldfriedensverhandlungen bei.

Zumal das Ganze ja auch nur auf ein bloßes Homa-Sapiens-Gehirn trifft, das seine eigenen Geschichten mit sich rumschleppt und sich bei dem Kontrollverlust, den eine durch die eigene Wohnung marodierende Koboldschar auslöst, mehr als nur ein bisschen unkomfortabel fühlt.

Zu verstehen, was in den Tiefen der Köpfe geschieht, empfinde ich dennoch als einen deutlichen Zugewinn an Kontrolle.

Nicht mehr what the f**k geht hier gerade ab?, sondern eher okay, wir stehen also gerade mal wieder an diesem Punkt.

Fühlt sich souveräner an, also besser. Und damit auch schon fast wieder unter Kontrolle.

Vielleicht haben sich Menschen früherer Generationen ähnlich gefühlt, als sie begriffen, dass Krankheiten nicht durch die willkürliche Straferei eines launischen Gottes entstehen, sondern Viren und Bakterien dahinterstehen, erleichternd, ohne dass einem diese Erkenntnis wirklich beim Gesundwerden hilft.

An dem Punkt half mir die tolle Onlinefortbildung von PFAD e.V., die ich her gerade fürSie wiedergekäut habe, nämlich nicht mehr weiter.

Die Massnahmen wie Stress reduzieren, so transparent wie möglich agieren, sich die wichtigsten Kämpfe rauspicken und auf diese beschränken, eher indirekte Forderungen stellen, zumindest äußerlich gelassen bleiben, sich defensiv verhalten, ablenken, möglichst wenig reden (DAS fällt mir schwer … ) sind keine neue Erkenntnis, sondern Alltagsgeschäft.

Wahrscheinlich könnte hier vieles, viel häufiger, viel schlimmer laufen, als es nun einmal läuft.

An meinen Fragen im Seminar habe ich nämlich wieder gemerkt, dass das Kindchen auch unter den Auffälligen auffällig ist und dann habe ich lieber aufgehört zu fragen.

Zwei Tage später ist der neue HerrAuPair da und die Frau Erziehungsbeistand wieder gesund und ich merke wieder, auch Entlastung ist ein gutes Mittel zur Deeskalation, dann habe ich nämlich das Gefühl wenigstens sonst die Kontrolle über mein Leben zu behalten und nicht zwischen Wäschebergen und verschusselten Rezepten verloren zu gehen.

Trotzdem habe ich mir noch ein Coaching zu dem Thema aus dem Internet gefischt, ein Ansatz der auf den Methoden Gandhis beruht, was mich ja nun gewissermaßen an die Wurzel zurückbringt.

Wenn die Sache irgendetwas taugt, werde ich berichten.

Ein Schild mit der Aufschrift Mahatma-Gandhi-Brücke, darunter ein Brückengeländer, dahinter die Hamburger Elbphilharmonie

Tja, und dann gibt es da noch einen ganz unkontrollierbaren Punkt: Unser überlastetes Gesundheitssystem. Es gibt nämlich eine mindestens ein Jahr alte dringende Empfehlung für eine Verhaltenstherapie, ein durchaus hoffnungsvollen Ansatz die Kontrolle zu behalten

Aber der Kleine Fundevogel ist für die paar Praxen, die überhaupt noch eine Warteliste haben, auf die er vielleicht könnte, wahlweise zu jung oder zu alt, Kinder mit hirnorganischen Störungen also auch FAS behandeln sie nicht, Kinder die gleichzeitig in einem Sozialpädiatrischen Zentrum behandelt werden dürfen sie nicht nehmen, Kinder mit Weglauftendenz sind ihnen zu heikel …

… zum Kobolde kriegen.

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