Weißer Sonntag

Der Erzählvogel klopft seiner in letzter Zeit so untreuen Geschichtenaufschreiberin mit dem Schnabel auf den Kopf, nicht besonders brutal, er ist ein durch und durch sanftmütiges Wesen, selbst wenn er allen Grund hat sich zu beschweren. 

Es ist der siebte April, meine Liebe, Mitternacht, jetzt hat das auch keinen Sinn mehr, geh ins Bett.

Das Badezimmer ist abgeschlossen, den Schlüssel habe ich dem besten Mitbewohner zur Koboldabwehr gegeben und nun kann ich mir nicht die Zähne putzen.

Was ist denn das für eine lahme Ausrede noch weiter Löcher in die Luft zu starren? du hat eine Zahnbürste in deiner Arbeitstasche, nutze die und gehe schlafen

Ich bin zu müde ins Bett zu gehen, außerdem wollte ich noch meine Etüde zu Ende schreiben.

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Netter

Nachdem ich die letzten Tage kaum fassen konnte, dass die Verhaltensmaßstäbe für die Aufnahme in eine Kinder-und Jugendpsychiatrie deutlich höher zu liegen scheinen als beispielsweise für die Teilnahme an einer Klassenreise, habe ich nun eine kleine Überraschung erlebt.

Die Ärztin hat mich wie vereinbart noch einmal angerufen. Als erstes staunte ich, dass sie , obwohl sie mehrfach zwischendurch telefoniert oder andere dringende Sachen erledigt hatte, mir sehr genau und differenziert zugehört hatte.

Sie hatte mir geglaubt, dass mit dem Weglaufen mittlerweile halbwegs im Griff zu haben, aber die aufnehmende Station sei nicht überzeugt.

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Das Entlastungsparadox

Frau Fundevogel, Sie brauchen mehr Entlastung“

Wie oft gehört? 

Wie oft zustimmend dazu genickt?

Es ist ja wahr.

Das Leben mit dem Kleinen Fundevogel oder viel mehr mit der Last, die dieses kleine Vögelchen mit sich rumschleppen muss, ist anstrengend und drei Stunden Schule am Tag sind verdammt wenig.

Nie kann man wissen, welcher Impuls welchen Kobold wohin springen lassen wird, welche Regel wann, wie und wo des Teufels sein wird, welches Räuspern des Universums die ganz große Verweigerung auslösen wird, die, die sich anfühlt, als ginge es um Leben und Tod.

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Voll unnett


Warnung: Dieser Beitrag enthält deutliche Spuren schlechter Laune! Und ist vielleicht ganz bestimmt auch nicht ganz ausgewogen.

Wir laufen dann endlich wieder zur U-Bahn, der kleine blaue Elefant in den Händen des Kleinen Fundevogels, schlägt im Rhythmus unserer Schritte einen Salto nach dem anderen.

Die war aber voll unnett, sagt der Kleine Fundevogel.

Hm, denke ich, nett war sie eigentlich.

Ich dagegen war bestenfalls noch gut erzogen.

Da zerrt man also nach zehn Monaten Wartezeit überpünktlich, obwohl auf dem Krankenhausgelände verirrt, einen widerstrebenden nur durch eine restlose entleerte Trickkiste irgendwie bewegten Kleinen Fundvogel zum Vorgespräch ins Koboldkrankenhaus., den Ausdruck mit den vorbestellten Blutwerten und einen EKG-Befund wie erwünscht im Gepäck.

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Von der Kontrolle, ihrem Verlust und was dann noch alles passieren kann

Nun aber gibt es Abende im Fundevogelnest, die sind einfach scheußlich. Es sind jene Abende, an denen die Kobolde die Kontrolle über das Nest übernehmen. Sie tun das in der Gestalt eines Kindes, das an solchen Tagen in allen Ecken des Nests gleichzeitig zu sein scheint, alle Elektrogeräte auf einmal in Gang setzen oder – je nach destruktivem Bedarf – vom Netz nehmen kann, das alles Geld, alle Süßigkeiten, alle letzten nervlichen Reserven an sich reißen und dabei kein Knallen, kein Scheppern, kein Splittern auslassen kann.

Unerträglich laut und komplett unerreichbar für jegliche Stimme der Vernunft, für Verhandlungsangebote und für Drohungen schon mal gar nicht, ganz unabhängig davon, ob man diese wahr werden lässt oder nicht.

Jegliches hilfloses Herumzerren endet ziemlich sicher in einem Gerangel, das vermutlich in heftigster Gewalt münden würde, wenn ich mich nicht so im Griff hätte, wie ich es zum Glück habe. Ich habe mittlerweile eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie Kindesmisshandlung entstehen kann, aus überwältigender Hilflosigkeit- was nichts entschuldigt, wer hilflos ist, soll sich Hilfe suchen. Wobei ich die Male, die mir geraten wurde Gib ihm doch mal eins hinter die Ohren, nicht mehr zählen kann. Meine langjährige, intensive Auseinandersetzung mit Gewalt und gewaltfreiem Handeln, die ich in jungen Jahren hauptsächlich mit der Idee die Welt zum Besseren verändern zu können geführt habe, verhindert hier und heute zumindest den Vernichtungskrieg im Privaten.

Es scheint oft jedoch egal, wie sehr ich mich versuche nach außen hin gelassen und versöhnlich zu geben („Atmen Sie tief durch und tauchen Sie alles in goldenes Licht“). Hat irgendein kleiner Anlass die Eskalationsspirale einmal in Gang gesetzt, kann man eigentlich nur noch auf den gnädigen Erschöpfungsschlaf warten, der dem Spuk ein Ende setzt.

Um dann festzustellen, dass man selbst egal wie erschöpft, weder einschlafen noch etwas Anspruchsvolleres tun als die Spülmaschine ausräumen kann. Nie hätte mir vorstellen können mich in der Gegenwart eines Kindes so ohnmächtig fühlen zu können. Wo soll das denn bitte noch hinführen? Den Katastrophenzukunftsszenarien im eigenen Kopf nach solch einem Abend Grenzen zu setzen ist seelischeSchwerstarbeit. Gleichzeitig ist so deutlich zu spüren, dass das gehässige, triumphierende Lachen des Kindes ein Papiertiger ist, hinter dem nur mäßig kaschiert eine noch viel größere Ohnmacht zu erblicken ist.

Wer nicht weiter weiß, soll sich weiterbilden.

Was im Nest passiert, ist in den letzten Jahren recht gut erforscht worden, es passiert im Gehirn, im limbischen System, vor allem in der Amygdala auch Mandelkern genannt einem Bereich, der- sehr, sehr laienhaft und bestimmt auch nicht ganz richtig erklärt – unserer Gefühle bei Erlebnissen speichert, uns im wahrsten Sinne des Wortes das Fürchten lehrt. Wer zu viel und erst recht, wer sehr früh im Leben zu viele überwältigende Situationen überlebt hat, hat einen überstrapazierten Mandelkern, der schon bei geringsten Auslösern das ganze Paniksystem hochfährt.

Niemand will wieder und wieder Vernichtungsangst durchleben müssen und so versucht der Mensch die Kontrolle über die bedrohlichr Situation um jeden Preis wiederzugewinnen.

Nicht nur der Umgang mit dem Klimawandel zeigt auf, dass logisches Handeln nicht unbedingt die stärkstes Seite des menschlichen Geistes ist.

Beim Umgang mit starken Emotionen hat bestimmt jeder und jede von Ihnen schon erlebt, dass der Zugang zu nützlichen Bereichen des Großhirns im entscheidenden Moment ärgerlicherweise zugesperrt ist.

Stattdessen gibt es Menschen, die erstarren, die fühlen einfach gar nichts mehr, egal ob schrecklich oder wunderbar, andere versuchen zu beschwichtigen, verhalten sich bis zum Aberwitz überangepasst oder man flieht aus der Situation und meidet sie fortan, egal wieviel Kostbares sie auch für einen bereit haben könnte … oder … oder …

Und dann gibt es halt auch noch jene, die kämpfen, die kämpfen bis zuletzt gegen jene, die nichts Schlimmeres getan haben, als aus Versehen den gestressten kleinen Mandelkern anzurempeln.

Und viele Gehirne haben nicht nur eine Baustelle: Wenn die Fähigkeit Reize überhaupt zu filtern, die Impulskontrolle und was weiß ich nicht noch eingeschränkt sind, trägt das nicht zu Koboldfriedensverhandlungen bei.

Zumal das Ganze ja auch nur auf ein bloßes Homa-Sapiens-Gehirn trifft, das seine eigenen Geschichten mit sich rumschleppt und sich bei dem Kontrollverlust, den eine durch die eigene Wohnung marodierende Koboldschar auslöst, mehr als nur ein bisschen unkomfortabel fühlt.

Zu verstehen, was in den Tiefen der Köpfe geschieht, empfinde ich dennoch als einen deutlichen Zugewinn an Kontrolle.

Nicht mehr what the f**k geht hier gerade ab?, sondern eher okay, wir stehen also gerade mal wieder an diesem Punkt.

Fühlt sich souveräner an, also besser. Und damit auch schon fast wieder unter Kontrolle.

Vielleicht haben sich Menschen früherer Generationen ähnlich gefühlt, als sie begriffen, dass Krankheiten nicht durch die willkürliche Straferei eines launischen Gottes entstehen, sondern Viren und Bakterien dahinterstehen, erleichternd, ohne dass einem diese Erkenntnis wirklich beim Gesundwerden hilft.

An dem Punkt half mir die tolle Onlinefortbildung von PFAD e.V., die ich her gerade fürSie wiedergekäut habe, nämlich nicht mehr weiter.

Die Massnahmen wie Stress reduzieren, so transparent wie möglich agieren, sich die wichtigsten Kämpfe rauspicken und auf diese beschränken, eher indirekte Forderungen stellen, zumindest äußerlich gelassen bleiben, sich defensiv verhalten, ablenken, möglichst wenig reden (DAS fällt mir schwer … ) sind keine neue Erkenntnis, sondern Alltagsgeschäft.

Wahrscheinlich könnte hier vieles, viel häufiger, viel schlimmer laufen, als es nun einmal läuft.

An meinen Fragen im Seminar habe ich nämlich wieder gemerkt, dass das Kindchen auch unter den Auffälligen auffällig ist und dann habe ich lieber aufgehört zu fragen.

Zwei Tage später ist der neue HerrAuPair da und die Frau Erziehungsbeistand wieder gesund und ich merke wieder, auch Entlastung ist ein gutes Mittel zur Deeskalation, dann habe ich nämlich das Gefühl wenigstens sonst die Kontrolle über mein Leben zu behalten und nicht zwischen Wäschebergen und verschusselten Rezepten verloren zu gehen.

Trotzdem habe ich mir noch ein Coaching zu dem Thema aus dem Internet gefischt, ein Ansatz der auf den Methoden Gandhis beruht, was mich ja nun gewissermaßen an die Wurzel zurückbringt.

Wenn die Sache irgendetwas taugt, werde ich berichten.

Ein Schild mit der Aufschrift Mahatma-Gandhi-Brücke, darunter ein Brückengeländer, dahinter die Hamburger Elbphilharmonie

Tja, und dann gibt es da noch einen ganz unkontrollierbaren Punkt: Unser überlastetes Gesundheitssystem. Es gibt nämlich eine mindestens ein Jahr alte dringende Empfehlung für eine Verhaltenstherapie, ein durchaus hoffnungsvollen Ansatz die Kontrolle zu behalten

Aber der Kleine Fundevogel ist für die paar Praxen, die überhaupt noch eine Warteliste haben, auf die er vielleicht könnte, wahlweise zu jung oder zu alt, Kinder mit hirnorganischen Störungen also auch FAS behandeln sie nicht, Kinder die gleichzeitig in einem Sozialpädiatrischen Zentrum behandelt werden dürfen sie nicht nehmen, Kinder mit Weglauftendenz sind ihnen zu heikel …

… zum Kobolde kriegen.

Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt, die Daten speichert, verarbeitet und an den Spamerkennungsdienst Akismet sendet. Ich selbst nutze die erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.

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Himmelfahrtstag

Vor Jahren als die Frau Fundevogel noch nicht ahnte, dass sie eines Tages die Frau Fundevogel sein würde, wohnte sie in einem Pfarrhaus.

Der junge Pastor war noch ungebunden, mochte in dem riesigen Pastorat nicht alleine leben und hatte eine WG daraus gemacht.

Schön hatten wir vier es dort, zumindest am Anfang.

Eines Tages nun saßen der Pastor und die Frau Fundevogel mit Erdbeeren in der Sonnen auf dem Balkon, auf einem der drei Balkons, um es genau zu nehmen.

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Hirnsalat, eine Buchempfehlung

Es gibt ein neues Wort in unserem Haushalt. Ein Wort für viele Gelegenheiten unseres Alltags.

Hirnsalat.

Hirnsalat hat jeder mal im Koppe, an so Tagen, an denen man froh ist, dass der Kopf angewachsen ist und nicht auch noch irgendwo liegengelassen werden kann.

An Tagen, an denen es keine richtigen Entscheidungen zu geben scheint, an denen man ein kleines Geräusch am liebsten standrechtlich erschießen würde und den irgendwie zaudernden Computer gleich mit. Wehe jemand stellt eine aufdringliche Frage, eine freundlich-unverbindliche Antwort kommt an Hirnsalattagen nicht in den Sinn, da schickt man gleich die Kavallerie oder bricht in Tränen aus.

Und fühlt sich ganz und gar nicht geeignet für diesen Planeten und die, die darauf mit einem wohnen.

Zum Glück sind solche Tage irgendwann wieder vorbei.

Bei manchen Menschen ist der Hirnsalat mehr oder weniger der Normalzustand.

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Was war denn los im Nest? Ein paar Stichpunkte

  • viele Zettel vollgeschrieben und keinen einzigen, davon abgetippt
  • warum denn bloß?
  • die komplette Finanzierung des Schulbegleiters des Kleinen Fundevogels organisiert, mit einem in Hamburg wohl einzigartigen Mischfinanzierungsmodell
  • ein Wochenende auf einem wunderschönen Bauerhof zusammen mit anderen Pflegefamilien verbracht
  • der Kleine Fundevogel ist an an diesem Wochenende vom Kettcar nur zum Schlafen und Essen abgestiegen und auch das nur unter Protest
  • die Frau Fundevogel sah dabei den Kranichen beim Ziehen zu
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Tief im Hirnstoffwechsel

Nach langem Zaudern und Zögern habe ich mich vor rund zwanzig Monaten entschlossen im Koboldkrieg zu chemischen Waffen zu greifen, sprich dem Kleinen Fundevogel Medikamente zu verabreichen, die in tief den Hirnstoffwechsel eingreifen.

Das hört sich nicht nur gruselig an, es sind auch gruselige Sachen passiert.

Nur ohne wurde es auch zunehmend gruselig, wir haben vieles, vieles gegen die Kobolde unternommen, mit Umsicht, Geschick und therapeutischer Hilfe und ja auch mit diesem und jenem Nahrungsergänzungs- oder homöopathischen Mittelchen.

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Beim Namen nennen

Ein junger Mann, zuhause auf der anderen Seite der Erde, möchte gerne ein Jahr als AuPair mit uns verbringen. Auch drastische Schilderungen des Lebens im Nest halten ihn nicht davon ab Zeit mit dem Kleinen Fundevogel verbringen zu wollen

Nur das Visum fehlt ihm noch. Ein Visum für AuPair ist keine dramatische Angelegenheit, es gilt ein paar klar definierte Kriterien zu erfüllen und dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Nur ist es ihm über Monate nicht gelungen, überhaupt einen Termin zur Visumsbeantragung in der Deutschen Botschaft zu bekommen.

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