Das Entlastungsparadox

Frau Fundevogel, Sie brauchen mehr Entlastung“

Wie oft gehört? 

Wie oft zustimmend dazu genickt?

Es ist ja wahr.

Das Leben mit dem Kleinen Fundevogel oder viel mehr mit der Last, die dieses kleine Vögelchen mit sich rumschleppen muss, ist anstrengend und drei Stunden Schule am Tag sind verdammt wenig.

Nie kann man wissen, welcher Impuls welchen Kobold wohin springen lassen wird, welche Regel wann, wie und wo des Teufels sein wird, welches Räuspern des Universums die ganz große Verweigerung auslösen wird, die, die sich anfühlt, als ginge es um Leben und Tod.

Also her mit der Entlastung.

Entlastung ist nur Entlastung, wenn ich mich sicher fühlen kann, dass es dem Kleinen Fundevogel gut geht in der Zeit und es auch denen gut geht, die diese Zeit mit ihm verbringen. Sonst wird Entlastung eine äußerst belastende Angelegenheit und man hat später einen Koboldangriff, der jedes zarte Häufchen Entspannung niederwalzt.

Die meisten kindertypischen Beschäftigungen wie Nachmittagsbetreuung in der Schule, mit anderen Kindern draußen spielen, in den Fussballverein, zu den Pfadfindern oder zur Jugendfeuerwehr gehen, fallen flach, weil die Dynamik das Kindchen so mitnimmt, dass Weglaufen oder gewalttätige Auseinandersetzungen vorprogrammiert sind, er braucht die Regulation von außen durch einen Erwachsenen, eigentlich immer und durchgehend. Manchmal denkt man zwar Stunden oder gar ganze Tage lang, ach wie schön, läuft doch und fängt an sich zu entspannen, aber darauf warten die Kobolde nur.

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an unseren Fallzuständigen beim Amt für Soziale Dienste, der das mit der mehr Entlastung nicht nur predigt, sondern auch ganz schön viel Geld dafür locker macht. Schulbegleitung, Erziehungsbeistand einmal die Woche, alles genehmigt, da träumen andere von.

Nur freiwillig Fundevögel regulierende Erwachsene, die wollen auch gegen Bezahlung erstmal gefunden sein und manchmal bin ich froh, das Arbeiten organisiert zu bekommen und habe keinen Schwung mehr übrig noch für meine Freizeit zu sorgen.

Nichtsdestotrotz durften der Kleine Fundevogel und ich einige wunderbare Menschen kennenlernen, Leute die ihm Perspektiven zeigen, die ich nicht kann, die vielleicht Fussball spielen können, hingebungsvoll basteln oder den Spass beim Autoquartett nicht heucheln müssen.

Unser erster Herr AuPair konnte wunderbar mit dem Kleinen Fundevogel und es war ein gutes Gefühl die beiden beieinander zu wissen. 

Der zweite hat vor den Kobolden die Waffen gestreckt. Er wird uns verlassen und hoffentlich wieder glücklicher werden, als er das in diesem Nest ist.

Ich stecke wieder in dem wenig entspannenden Prozess mit auswärtigem Amt und Bundesarbeitsagentur zu verhandeln, um den nächsten hoffnungsvollen Bewerber ins Nest zu holen.

Gewarnt ist er doppelt und dreifach und kann es bald vermutlich nicht mehr lesen, aber es ist nun mal nicht nur spielen mit einem sehr witzigen, charmanten kleinen Jungen, es ist auch wuchtige Wut aushalten oder gegen die völlige Verweigerung knallen, weshalb hier auch niemand für sein AuPair-Taschengeld, die im Vertrag festgelegten 30 Stunden die Woche arbeiten muss, Fundevogelzeit zählt anders.

Besonders entlastend bei dem Konzept AuPair finde ich übrigens, dass ich das Kind nicht irgendwo abgebe, sondern jemand einfach dabei ist, Ausflüge, Schwimmen gehen. Urlaub werden zu wirklich entspannten vergnüglichen Zeiten, in denen nix in mir nach Entlastung schreit.

Ich finde es super entspannend zu Hause tätig zu sein und aus dem Nebenraum zwei zu hören, die wirklich Spaß haben.

Möge die deutsche Botschaft in einem fernen Land ein rasches Einsehen haben.

Das Pflegekind einer Onlinebekannten, das ich mir nach ihren Schilderungen als so eine Art Kleinen Fundevogel hoch drei vorstelle, besucht zur Entlastung der Familie eine heilpädagogische Tagesstätte – meistens ist es aber zu Hause, als Konsequenz, weil es in der Tagesstätte irgendwelche Genzen überschritten hat.

Was im Klartext heißt, hat das Kind eine gute Phase, wird man bestens von ihm entlastet, wenn nicht, in den Zeiten, in denen das Durchatmen am notwendigsten wäre, heißt es bitte sofort abholen, nächstes Mal darfst du nicht kommen.

Wenn die Entlastungsperson krank ist oder ihr Kind krank ist, bleibt das Kind logischerweise auch zu Hause, bei denen, die gefälligst für ihre Entlastung sorgen sollen. 

Es sei denn sie betreiben einen riesigen Aufwand, um sich ihre Entlastung doch irgendwie zu holen.

Und dann verbringe ich die Zeit doch lieber mit dem Kind.

Und weil die Frage immer wieder gestellt wird: Warum das Ganze nicht gleich in professionelle Hände geben, sprich den Umzug in eine intensivpädagogische Einrichtung planen?

Das war die Idee unseres früheren Jugendhilfeträgers, mit dem ich mich über diesen Vorschlag – nein, es war eine Forderung mit Pistole auf die Brust – so zerstritten habe, dass wir nun getrennte Wege gehen.

Wenn ich irgendwie den Eindruck hätte, dass es dem Kind in so einer Einrichtung besser gehen würde als hier, zum Beispiel weil es auf dem Gelände mehr Freiheit gibt, weil Personal, das weiß, dass es nach acht Stunden gehen darf, belastbarer ist, weil es vielleicht eine eigene kleine geeignete Schule gäbe … würde ich es mir überlegen, ich würde ja seine Mama bleiben.

Allerdings erst wenn er nicht mehr so kleinkindhaft bedürftig ist wie zur Zeit noch. Wie soll ein hohes Kuschelbedürfnis von denen gestillt werden, die nun mal professionelle Distanz wahren müssen?

Die Heime haben aber auch Fachkräftemangel, der umfassendste Punkt auf jeder Website solcher Einrichtungen ist die Personalsuche. Mag ja sein, dass es Konzepte gibt, die eine 1:1 Betreuung vorsehen, aber jeder, den Sie fragen sagt, de facto ist man doch mit fünf, sechs hochauffälligen Kindern allein. Kenne ich, ist in meinem Job nicht anders, aber in so einer Melange wird der Kleine Fundevogel zu Dynamit.

Dann wird jeder pädagogische Idealismus zwangläufig zur Schadensbegrenzung und ganz schnell heißt es das Kind ist nicht tragbar, notfallmäßig in die Kinder-und Jugendpsychiatrie, neue Wohngruppe suchen…, das böse Wort Systemsprenger fällt.

Das Kind einer anderen Onlinebekannten flog nach nur vier Monaten aus einer Einrichtung für die sie extra 600 km weit fuhren, einer Einrichtung, die das Jugendamt der Familie als Platz bis zur Volljährigkeit verkauft hat, dann Kinder-und Jugendpsychiatrie, seither lebt er in einer Notaufnahmestelle von einem Sicherheitsdienst bewacht.

Und das stelle ich mir wirklich zu belastend vor.

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6 Gedanken zu “Das Entlastungsparadox

  1. piri März 22, 2024 / 12:10 pm

    Tut mir leid, mir fehlen jetzt die Worte. So allein gelassen zu sein ist einfach nur schlimm.

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  2. fundevogelnest März 22, 2024 / 9:47 pm

    Kam das jetzt wirklich so rüber?

    Im Moment ist es mit Schulferien und ohne AuPair wirklich trübe, aber sonst habe ich ja nun nicht nichts, nur der Aufwand ist oft erheblich, aber ich glaube du kennst das auch.

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  3. gkazakou März 23, 2024 / 9:25 am

    Vielen Dank, Nathalie. So ist das also. Dass au-pair manchmal wirklich klappt, wundert und freut mich. Dazu eine eigene Erfahrung .
    Ich war mit 16 au-pair in Frankreich zur Entlastung einer Frau mit vier Kindern, o weh! Ich bemühte mich redlich, war aber total überfordert, denn faktisch war ich für den Haushalt und die Kinder zuständig, während die Mutter auf Arbeit war. vom Führen eines Haushalts hatte ich keine Ahnung.

    Warum meldet sich jemand, um au-pair ins Ausland zu gehen? Er hat kein Geld, um auf eigene Kosten für längere Zeit ein Land zu besuchen, die Landessprache und die Lebensformen kennenzulernen. Also denkt er: ich helfe ein paar Stunden in einer Familie und bekomme sogar ein Taschengeld. Er hat keine Ahnung, was ihn wirklich erwartet, und hat auch selten die notwendigen Fähigkeiten, um in schwierigen Verhältnissen nützlich zu sein.

    Vielleicht hat sich das Konzept seither verändert?

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  4. fundevogelnest März 23, 2024 / 3:42 pm

    Zu erwarten, dass eine Sechzehnjährige, einen dann mit dir Siebenpersonenhaushalt schmeißt , vermutlich noch ohne Spülmaschine und mit Stoffwindeln, finde ich aber auch eine Zumutung und im Klartext Ausbeutung.

    Ich bin in Haushaltsdingen ziemlich locker, mir reicht es wenn sie hinter sich aufräumen , mal die Spülmaschine ausräumen und an meinen Arbeitstagen das von mir gekochte Essen aufwärmen.

    Ich habe auch schon schonend beigebracht, dass es nicht so schlau ist gekochte Nudeln ohne Fett und Wasser auf höchster Stufe zu erwärmen.

    Der Standard AuPairvertrag hat ganz aktuell eine Fassung von 1969 und begrenzt die Arbeitszeit auf 30 Stunden die Woche, wobei es keine Kontrollmechanismen gibt.

    Die meisten AuPair – zumindest die aus dem EU-Ausland – andere hatte ich bisher nicht, kommen weniger wegen ihrer kulturellen Interessiertheit, sondern um einen Fuss in die Festung Europa zu bekommen.

    Das klappt auch ganz gut. Unser voriger AuPair ist in dem einen Jahr sehr gereift, macht jetzt ein FSJ in einem Krankenhaus und beginnt dann eine Ausbildung als Krankenpfleger. Er ist und nach wie vor eng verbunden.

    Ich finde das moralisch völlig okay, wird aber schwierig, wenn man ohne die geringste Neigung mit zusammengebissenen Zähnen in einer Familie arbeiten und vor allem auch leben will.

    Und sich dann noch mehrfach vorgewarnt so eine Granate wie den Kleinen Fundevogel aussucht, da ist es dann zum Desaster gekommen.

    Ich glaube er ist psychisch total am Ende und ich bin froh, dass er in zwei Tagen im Schoß seiner Familie sein wird. Abgesehen davon war er ehrlich, höflich, zuverlässig …

    Seine neoliberalen Sprüche werde ich aber nicht vermissen.

    Man telefoniert vorher halt ein paar Mal über Whats App, schreibt sich Mails …, kennenlernen ist was anderes. Ich nehme übrigens nur AuPair über 20.

    Ich hoffe die deutsche Botschaft hat ein Einsehen und lässt meinen nächsten Bewerber im April einreisen.

    Er wird eine lange Kennlernphase haben, ehe er mit dem dem Kleinen Knallfrosch allein sein muss.

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