Am Feuer (ABC-Etüde)

Der Ping ihres Smartphones tritt sie aus dem Schlaf.

Die Mädchen…

Wenn einer von ihnen was passiert ist, ist es ihre Schuld.

Marina hat ein Foto geschickt, Seite an Seite liegen die Zwillinge auf ihrer Krabbeldecke.

Du siehst, sie leben noch, schreibt Marina. Endlich mal ausgeschlafen? Schreib wenn du losfährst, dann schmeiß ich den Kaffee an.

Ihr ist schwindlig. Wäre sie gestern gleich ins Bett gegangen, wäre sie nach ihrem Gebutstagsgeschenk – Marina hütet die Zwillinge, sie und Bekki gehen ins Kino – jetzt wirklich sensationell ausgeschlafen..

Genieß es, hatte Bekki ihr nachgerufen. Doch die Wohnung war so leer wie in der Krankenhauszeit, sie musste sich beherrschen Marina kein drittes Mal anzurufen und sie mochte nicht akzeptieren, dass ihre erste freie Nacht nach 14 Monaten schon alles verschenkt hatte.

Ist sie dann wirklich sträflich leichtsinnig ins finstre Gehölz gelaufen? Oder hat sie geträumt?

Der rote Schein des Feuers war weithin sichtbar gewesen. Trolle hatte sie albernerweise gedacht, doch es waren Menschen, Frauen zumeist und eine lud sie wortlos ein sich zu ihnen zu setzen.

Sie erzählten Geschichten, heitere und traurige, läppische und tiefgründige, berührende und lapidare.

Jede einzelne fiel auf sie wie Regen nach langer Dürre.

Plötzlich war sie an der Reihe gewesen, zierte sich, kannte doch keine Geschichten und erzählte dann von ihren zerbrechlichen frühgeborenen Mädchen, deren Vater abhanden gekommen war, von der Nähe des Todes und den Tälern der Pflege, dem vielen Schreien.

Gestand ihren Wunsch nach dem großen Schnitt in der engen Hülle , in die die Pflege sie gezwängt hatte und ihrer irren Angst für diesen Wunsch büßen zu müssen mit dem Leben der Mädchen.

Und niemand hatte das Schwert ergriffen gegen sie.

Was für ein Traum

Ich komm‘ gleich, schreibt sie Marina. Dusche eben noch .

Denn ihre Haare riechen nach Rauch.

Illustration der Etüden mit den Wortern Schnitt, rot, beherrschen

Dies mein Beitrag zur aktuellen Etüdenrunde mit der Wortspende (Schnitt, rot, beherrschen) von Myriade, einem häufigen immer gern gesehen Gast auf diesem Blog.

Es gibt nur noch einmal Etüdenwörter im Monat. Vielleicht wird es sie auch demnächst gar nicht mehr geben. In der Schreibeinladung begründet Christiane dieses ausführlich.

Trotzdem habe ich es mit vier Wochen Zeit erst wieder auf den allerletzten Drücker geschafft diesen Beirag zu schreiben und fast hätte ich es gar nicht getan.

Ich habe sehr wenig Zeit, nach wie vor, und die zu erledigenden Dinge trampeln auf meinen Füßen herum, aber das ist es gar nicht, ich habe das Gefühl meine Etüden drehen sich zur Zeit alle mehr oder weniger um das selbe Thema. Das stelle ich mir beim Lesen ermüdend vor. Beim Schreiben ist es das irgendwie auch.

Insofern kann ich die Etüdenerschöpfung auf mehreren Ebenen nachvollziehen. Vielleicht hat wirklich jedes Ding seine Zeit.

Fehlen würden sie mir trotzdem.

Sehr.

Tröstlich ist, dass das Erzählen selbst doch irgendwie unsterblich ist.

Aber an diesem Feuer ist es halt besonders schön.

Ich freue mich immer über Likes und Kommentare zu meinen Texten, muss aber darauf hinweisen, dass WordPress.com – ohne dass ich daran etwas ändern könnte — E-Mail und IP-Adresse der Kommentierenden mir mitteilt, die Daten speichert, verarbeitet und an den Spamerkennungsdienst Akismet sendet. Ich selbst nutze die erhobenen Daten nicht (näheres unter Impressum und Datenschutz). Sollte das Löschen eines Kommentars im Nachhinein gewünscht werden, bitte eine Mail an fundevogelnest@posteo.de, meistens werde ich es innerhalb von 48 Stunden schaffen dieser Bitte nachzukommen.

18 Gedanken zu “Am Feuer (ABC-Etüde)

  1. Werner Kastens März 5, 2023 / 12:06 pm

    Das Erzählen ist so unsterblich wie das Zuhören. Und das tut man bei Dir immer.

    Gefällt 5 Personen

    • fundevogelnest März 7, 2023 / 10:49 pm

      Ja, was wären wir alle ohne Geschichten.
      Und ich folge dir jetzt endlich auch, der Reader ist eine sehr elegante Art die schwierige Lesbarkeit deiner Website zu umschiffen. 😉

      Gefällt 1 Person

  2. Christiane März 5, 2023 / 12:57 pm

    Ich finde es nicht langweilig, immer wieder davon zu lesen. Nicht, wenn du es erzählst. Ich verstehe, dass du denkst: Das muss denen doch zu viel werden (NEIN), und dass du das Gefühl hast, darin festzuhängen. Das mag zwar sein, aber wenn es so ist, ist es so. Ich werde es immer wieder lesen wollen und werde mit deinen Figuren lachen, weinen, mich fürchten und staunen. Danke. 🧡
    Es geht übrigens weiter mit den Etüden, und ja, ich freue mich sehr.
    Herzliche Sonntagmittagkaffeegrüße 🌤️☕🍪

    Gefällt 1 Person

    • fundevogelnest März 7, 2023 / 10:57 pm

      Liebe Christiane, deine Pro- Etüdenentscheidung erfreut natürlich außerordentlich!
      Und dass dir dieser Text gefällt natürlich auch.
      Vielleicht ist es gar nicht die Wiederholung in den Texten, die mich nervt, sondern das Feststecken im Gefühl der Überforderung, fast jeder zweite meiner Texte ist getaggt mit „Erschöpfung“, wobei ich oft das Gefühl haben meine Figuren sind deutlich erledigter als ich selbst und das ist natürlich nett, dass die das für mich erledigen.
      Ich würde gern was Neues wagen, aber vielleicht war mein Mut in den letzten Monaten zu sehr damit beschäftigt, das zu verteidigen was ist, als dass da noch irgendein Aufbruch möglich wäre.

      Gefällt 1 Person

  3. Olpo Olponator März 5, 2023 / 6:35 pm

    Ich hab mir ja bereits mehrfach gedacht: was du immer in deine Texte reinbekommst, das können 300 Worte gar nicht ausdrücken, also sind es eben mehr.
    Diesmal schätze ich sie auf 600.

    Gefällt 2 Personen

    • fundevogelnest März 7, 2023 / 10:58 pm

      🙂
      Das Kürzen der Texte dauert auch immer doppelt so lange wie das Schreiben.

      Gefällt 2 Personen

  4. Myriade März 6, 2023 / 12:21 am

    Ich komme ohnehin immer gerne auf deinem Blog vorbei. Nach so einer netten Einladung noch lieber ❤

    Gefällt 1 Person

  5. piri März 6, 2023 / 8:07 pm

    Danke

    Like

    • fundevogelnest März 7, 2023 / 11:07 pm

      Liebe Piri, es freut mich sehr, wenn dich der Text angesprochen hat, denn wer würde sich im Gebiet Pflege von behinderten Angehörigen besser auskennen als du.
      Ich pflege den Kleinen Fundevogel ja nicht im herkömmlichen Sinne, aber doch so dass ein Großteil der Zeit und vor allemder Aufmersamkeit doch permanent gebunden ist, weil man ja wirloch nie weiß, was in den nächsten Sekunden geschehen wird.
      Kennst du die Podcastserie „Stark.Behindert.“, ich habe mich da gerade durchgehört und finde sie sehr gut.
      Und habe mich in vielen Aspekten wieder gefunden, obwohl der Kleine Fundevogel eigentlich ganz andere Herausforderungen mitbringt.
      Alles Liebe euch Dreien.

      Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.