Mauerseglertag

Endlich ist sie da, die erste grazile halbmondförmige Silhouette vor lila Regenwolken. Erhaben kreisend über dem normalen Elster-Meisen-Ringeltaubenverkehr, der sich in der Höhe unseres Zuhauses zwischen den Baumkronen abspielt. Wie kleines Gewusel müssen wir von ihrer Höhe aus wirken. Kühn segelnd, Kinder der Lüfte, die beim Fliegen schlafen und sich im Flug paaren können, Körper gewordene Eleganz.

Keinen Mauersegler wird interessieren, dass sein bloßer Anblick für mich reines Glück ist. Jahr für Jahr fange ich spätestens am 29.April, meinem Geburtstag, an in die Luft zu starren, da muss doch irgendwo … Noch bin ich gegen keinen Laternenpfahl gerannt, aber ein bisschen komisch sieht sie bestimmt aus, dieses Frau, die da in der Luft nach irgendetwas sucht, als hätte sie es verloren.

Jahrelang war der 29.April ein verlässliches Datum für den Mauerseglertag. Manchmal guckte ich vermutlich am 27. und 28. lieber nicht so genau nach oben, wollte mir die Geburtstagsfreude nicht verderben. Aus Gründen, die ich nicht fassen kann, schiebt der Ankunftstag sich weiter nach hinten und das, wo doch alles andere immer früher passiert. Anfang Mai blühen 2019 hier die Hollerbüsche, ein Ereignis, das den Beginn des Frühsommers markieren soll und ich verdrehe noch immer meinen Hals.

Ob 29. April oder siebter Mai wäre ja eigentlich schnuppe, der Weg aus dem südlichen Afrika ist weit, der Sommer, der vor uns liegt, hoffentlich lang, die Frau Fundevogel könnte sich ruhig mal ein bisschen in Geduld üben.

Könnte sie. Wären da nicht lange klamme Finger, die sich um das Herz schließen wollen: Die Mauersegler kommen nicht nur später, es sind auch Jahr ums Jahr weniger, die hier am Rande der großen Stadt ankommen. Die riesigen Trupps, die spätsommerabends mit durchdringendem Sriii-sriii-sriii über die Dächer des Quartier flitzten, gibt es schon seit drei, vier Jahren nicht mehr. Sechs bis sieben Individuen mögen es gewesen sein , die ich im August wehmütig verabschiedete. Kommt heil zurück.

(Immer muss ich beim Lesen lächeln, wenn in afrikanischen Romanen Mauersegler vorkommen, es ist als erzählten sie mir von ihrer geheimnisvollenReise).

Sind sie heil zurück? Da wo ich arbeite, knapp drei Kilometer von hier entfernt, sausten immer wesentlich mehr Mauersegler durch die Hochhausschluchten, als ich ihr je erblickt habe. Gestern: Keiner.

Es ist kein Gespinst meiner aufgescheuchten Seele:. Sie werden weniger.

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diesen Mauersegler hat MaryAdler gemalt für die Rückseite meines Romans „Zwischenzeit“, den ich gern „Mauerseglerzeit“ genannt hätte …

Dass sie hier eines Tages ganz ausbleiben werden, ist nicht unwahrscheinlich. Sogar, dass sie, die Insektenfresser und Langstreckenzieher, ganz von diesem Planeten verschwinden könnten, ist nicht bloß eine abstruse Einflüsterung jener Nachtgespenster, denen es eine seltsame Freude zu bereiten scheint, mich mich mit flachen Atem und pochendem Herzen meines Schlafes zu berauben. Eine Million Arten könnten in den nächsten Jahrzehnten aussterben, gellt der jüngste UN-Bericht wohl nicht nur in meinen Ohren.

Und was dann? Mauerseglerlos würde das Leben wohl weitergehen, mit seinen täglichen Besorgungen, Telefonaten, Erziehungsfragen und Haushaltsdesastern.

Ich würde weiterhin aufstehen, mich an mein Tagewerk machen, lachen und weinen, streiten und schreiben, Quatsch machen und Bienen versorgen, mich dann niederlegen und hoffen von den Nachtgespenstern übersehen zu werden.

Aber etwas würde sterben in mir, denn für die vollkommene Schönheit des Mauerseglerfluges gäbe es niemals Ersatz, völlig unabhängig davon wie gewaltig oder vernachlässigbar die ökologischen Folgen wären, verschwände dieser Vogel für immer.

Aussterben – ein Wort dessen  ganze Macht und Gewalt ich nicht fassen kann, vielleicht gar nicht will.

Zu unerträglich um wahrgenommen zu werden.

Überhaupt keine Mauersegler hier, sage ich zu meiner Kollegin. Ach, echt? Wusste gar nicht, dass da mal welche waren. Postkartenmäßig sah das immer aus, wenn sie um das große Kreuz auf der Kapelle kreisten, aber sie wär sich ja nicht mal sicher gewesen, was das für Vögel waren und der neue Dienstplan ist doch eine Katastrophe, findest du nicht auch?

Seltsam an einem Verlust zu leiden, denn andere nicht bemerken. Keine gemeinsamen Tränen zu erwarten, eher die Bestätigung selbst ein ziemlich schräger Vogel zu sein.

Schrecklich dieses ganze Artensterben, aber sie steigert sich da in was rein. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.

Wer bestimmt was wichtig ist?

Wer bestimmt was unerträglich ist?

Fahrverbote oder Artensterben?

Geld oder Leben.

Ein einsamer Mauersegler kreuzt heute Morgen tapfer das Firmament.

Noch einmal davongekommen, denke ich.

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14 Gedanken zu “Mauerseglertag

  1. pflanzwas Mai 10, 2019 / 10:23 pm

    Schön beschrieben! So geht es mir auch. Ich sehe auch schon seit einigen Tagen in den Himmel, aber ich bin mir fast sicher, daß die Mauersegler erst mit der nächsten warm bis heißen Schönwetterwelle herangereist kommen. Es ist zu kalt. Aber so spät waren sie wohl wirklich noch „nie“ – seit ich sie bewußt beobachte. Ende April, Anfang Mai ist auch hier in Hannover ihre Zeit. Wo ich früher wohnte, im flachen Land, gab es sie nicht zu sehen. Ich liebe ihre Rufe und ihr wunderschönes Segeln am Himmel genauso wie du. Ein Sommer ohne Mauersegler ist kein Sommer. Hoffen wir, daß es wieder besser wird. Leider verschwinden mit den Fassadensanierungen und diesen übertriebenen Dämmungen die Nistgelegenheiten dieser Vögel und nur zu selten wird darauf geachtet, Ersatz anzubieten. Ich hoffe, daß sie auch bald hier sein werden!!!

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    • fundevogelnest Mai 12, 2019 / 10:58 pm

      Und? Wie schaut es aus?
      Angekommen?
      Die Theorie mit der Kälte scheint zu stimmen, pünlklich zur Gartenvogelzählung kreisten vier Mauersegler über dem Haus.
      Nun kann ich mir den Kopf zerbrechen, woran das liegt. Legen sie bei Kälte einfach eine Pause ein, um Energie zu sparen?
      Ich meine sie können ja beim Abflug noch nicht den Wetterbericht im Kopf gehabt haben.
      Schade, dass mein (auch preislich) monströses Mauerseglerhaus für die Balkonbrüstung immer noch nicht da ist.
      Nächstes Jahr ..
      Liebe Grüße
      Natalie

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      • pflanzwas Mai 12, 2019 / 11:54 pm

        Ich weiß ja nicht, in welcher Region du wohnst, aber hier sind sie immer noch nicht angekommen (oder ich hab sie noch nicht gesehen). Aber es freut mich zu hören, daß sie bei dir eingetroffen sind. Dann kann es nicht mehr lange dauern. Ich schätze, daß sie bei Kälte in einer bestimmten Region bleiben. Ich beobachte hier im Sommer manchmal, daß die Elternvögel einer Schlechtwetterfront davonfliegen. Manchmal sogar für ein zwei Tage. Dann ist kein einziger Vogel zu sichten. Irgendwie werden die das schon ausbaldowern 🙂 Die nutzen bestimmt warme Aufwinde, mit denen sie ihren Flug erleichtern. So stelle ich mir das ganz naiv vor, haha! – Du baust also für die Mauersegler an? Das finde ich ja klasse! Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Ich las, daß sie immer zu ihren alten Nestern zurückkehren. Deins müssen sie vielleicht erst mal kennenlernen? Ich drück die Daumen für einen baldigen Einzug und vor allen Dingen für eine baldige Lieferung!!! LG, Almuth

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        • fundevogelnest Mai 13, 2019 / 9:13 pm

          Heute dann eine Mail der Firma, die Lieferzeit beträgt ca. zwölf (!) Monate, ob ich meine Bestellung denn aufrechterhalten möchte.Ich glaube schon, da es das einzige mir bekannte Produkt ist, dass ich montieren könnte ohne meinen Hals hier im zweiten Stock zu riskieren, man kann es in Halterungen für Blumenkästen hängen, wäre dann die schmale Ostseite unseres Balkons, davor wollte ich ein etwas höheres Regal stellen, damit die Mauersegler etwas Privatsphäre haben.
          Irgendwie rührt diese Firma mich in dieser schnellen Zeit.
          Seit Monaten schon scheinen sämtliche Mauerseglernisthilfen ausverkauft zu sein. Wir sind nicht die einzigen, die sich die Köpfe verdrehen. Und das ist doch recht tröstlich.
          Liebe Grüße
          Natalie

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          • pflanzwas Mai 14, 2019 / 12:52 am

            Schön, daß du das so positiv siehst und das ist es ja auch, wenn sie aufgrund der großen Nachfrage so ausverkauft sind! Im ersten Moment hätte ich wahrscheinlich die Vollkrise gekriegt. 12 Monate klingt schon krass 😉 Das hört sich wirklich praktisch an und es wäre toll, wenn du vom Balkon aus was mitkriegen könntest. Ich freue mich, daß du sowas machst. Hätte ich ein eigenes Haus, aber als Mieter kann man leider nicht alles machen. Dann noch eine schöne „Mauerseglerzeit“. Ich warte immer noch, aber das Wetter wird sonniger. Die kommen sicher bald! LG, Almuth

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        • fundevogelnest Mai 14, 2019 / 9:02 pm

          Liebe Almuth,
          Es IST eine Mietwohnung, daher habe ich so lange nach einer Möglichkeit gesucht, die eben nicht mit baulichen Veränderungen am Haus einhergeht.
          Diesen Kasten der Firma Schwegler kann man mit normalen Blumenkastenhalterungen anbringen.
          Ich glaube nicht, dass irgendjemand (jedenfalls niemand, der kein Vogel oder vielleicht auch keine Fledermaus ist) den grauen Kasten groß bemerken wird, wir wohnen ganz oben.
          Bleibt natürlich das Problem, dass ich ihn bei einem Auszug werde entfernen müssen und dann wieder ein evtl. etablierter Nistplatz fehlt . Aber das wäre bei verkauftem Wohneigentum nicht anders. Bei den Mietpreisen in Hamburg werde ich bestimmt nicht so schnell freiwilig umziehen.
          Ich werde bei Gelegenheit berichten.
          Gruß
          Natalie

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          • pflanzwas Mai 14, 2019 / 11:53 pm

            Liebe Natalie, ich habe gerade geguckt: der ist ja wirklich recht schlicht und wie klein die Löcher sind – staun!! Ich habe nur bedenken, wegen der Kackerei, die die nach unten hin machen könnten. Kommt ein bißchen auf die Gegebenheiten an. – Ich glaube, ich habe heute welche gesehen. 2 oder 3 mal ganz kurz vom Rad aus. Einmal war es definitiv eine Schwalbe, aber kurz vorm Abend flatterte hier was am Haus vorbei und hier sind normalerweise keine Schwalben unterwegs. Ich bin mir sicher, morgen sehe ich welche 🙂 Wenn du in HH wohnst, dann haben sie sich hier wohl vorbeigeschlichen 😉 Dann müssen sie sogar schon hier sein! Ich bin gespannt. LG, Almuth

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          • fundevogelnest Mai 15, 2019 / 7:20 pm

            Liebe Almuth

            Hm, vielleicht ein Brett unter dem Kasten anbringen? Müsste ja an den Blumenkastenhalterungen recht einfach sein, kann ich ja jetzt ein Jahr dran tüfteln
            Danke für diesen Gedankenanstoß..
            Hoffentlich hast du bals Mauerseglerbesuch.
            „Meine“ kann ich gerade sehen.
            Natalie

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  2. Geschichten und Meer Mai 11, 2019 / 3:52 am

    Hier im Moloch München habe ich noch nie welche gesehen.

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    • fundevogelnest Mai 12, 2019 / 11:01 pm

      Dabei sind Mauersegler eigentlich Kulturfolger, typische Stadtvögel.
      Ich habe aber festgestellt, dass sie ausgesprochen punktuell anzutreffen sind. Nach ihrer langen Reise, scheinen ihnen am Ziel wenige hundert Meter Umkreis genug zu sein.
      Liebe Grüße
      Natalie

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      • Geschichten und Meer Mai 13, 2019 / 5:23 am

        Kulturfolger, danke, das Wort war mir nicht eingefallen. Früher, in Wiesbaden, waren sie allgegenwärtig.

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  3. gkazakou Mai 11, 2019 / 9:58 am

    Falls es dich tröstet: hier im südlichen Griechenland sehe ich sie oft. NABU-artikel ist interessant: „Die Mauersegler kommen zurück Die Vorhut ist bereits da / Jetzt noch Nisthilfen anbringen

    Auf die Mauersegler ist Verlass. Ganz gleich, ob unser Winter lang und schneereich war oder kurz und mild: Jedes Jahr pünktlich Mitte April erreicht die Vorhut der schnittigen Flieger Deutschland und ab Anfang Mai sind wieder überall ihre schrillen Schreie zu hören.
    … „

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  4. fundevogelnest Mai 12, 2019 / 11:06 pm

    Ich finde die Vorstellung ausgespochen tröstlich.
    Der NABU schreibt aber auch, dass Segler und Schwalben die ausgesprochen Verlierer der diesjährigen Amateur-Vogelzählung sind, Rückgänge von 45 bis 50 Prozent …
    Auf die Mauersegler ist Verlass, sie können sich nur nicht darauf verlassen, dass sie ihr Sommerquartier vorfinden, wie sie es verlassen haben…
    Liebe Grüße an dich unterm Mauerseglerhimmel
    Natalie

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