Das große klebrige Fest

Um den 20. Juli herum ist Zeit für die Honigernte. Die Bienenkiste ist so schwer geworden, dass ich sie kaum noch heben kann und bald wird es allerhöchste Zeit etwas gegen die allgegenwärtigen Milben zu tun – dafür muss ich in der Bienenkiste den Honigraum frei haben — und für die Auffütterung für den Winter.

Wer Interesse hat zu sehen, wie so eine Honigernte vor sich geht, den oder die schicke ich mal eben zu You Tube (die sammeln Ihre Daten, aber das wissen Sie selbst…)

Die Geschätzte Mitimkerin und ich hatten nämlich mal wieder keine Hand und keine Nerven für ein Foto frei und ganz so professionell und störungsfrei wie in diesem Bienenkistenwerbefilmchen lief das bei uns mal wieder nicht ab.

Die Querleiste war überhaupt nicht los zu bekommen, sondern war komplett mit Waben überbaut und einige von den Damen Bienen ganz und gar nicht bilderbuchmäig zusammengebaute Waben rissen auseinander und das heißt es fließt immer viel, viel Honig, in dem sich Bienen mehr oder weniger hoffnungslos verkleben. Ein trauriger Anblick, der die Imkerinnen zutiefst schuldbewusst zurücklässt, die Sollbruchstelle hinten ist mir dagegen am Abend vorher gut gelungen, da lösten sich die Waben wie Stückchen einer Schokoladentafel. Jedes Jahr mache ich mir Notizen was besser laufen könnte, lese sie auch, aber irgendwelche Tücken lauern immer.

Wirklich stolz sind wir auf die Ruhe, die die ganze Zeit bei Bienen und Imkerinnen herrschte, das hatten wir auch schon anders.

Viel Honig muss es sein dieses Jahr, richtig viel, denke ich, erst wäre mir die Bienenkiste beim abendlichen Vorschneiden fast weggekippt, so schwer war sie. Und dann muss ich mir Hilfe holen, um die Kunststoffkiste voller Waben in den zweiten Stock zu schleppen.

Oben angekommen heißt es erstmal die unfreiwillig mitgereisten Bienen auf den Balkon zu evakuieren, wo sie sich den Honig gegenseitig abschlecken. Bald sind auch eine ganze Menge Hummeln zur Stelle, die behutsam die kleinen Immen von der klebrigen Last befreien. Rührend sieht das aus, für die Hummeln ist es vermutlich aber nur eine unerwartete leckere Nahrungsquelle.

Erfreulich viele hoffnungslos verklebt aussehende Bienen breiten im Lauf des Tages die Flügel aus und fliegen Richtung Garten davon.

Wir machen die Balkontür schnell hinter uns zu, sonst kommen in Nullkommanix sämtliche Bienen des Stadtteils, die gerochen haben, dass da etwas ist, von dem sie nicht ganz unberechtigt annehmen, das es ihnen zustünde.

Die Balkontür bleibt also zu, die Tür zur Stube auch, die Luft wird dumpfer, feuchter und unglaublich süß. Der Honiggeruch verbreitet sich, der Honig auch, von den Honigraumleisten geschnittenen Waben werden in unseren selbstgemachten Filter umgefüllt und müssen zerstampft werden. Der Kleine Fundevogel steht auf dem Tisch und drückt mit dem Kartoffelstampfer was seine Ärmchen hergeben. Herzerfrischend ist es ihn arbeiten zu sehen. Wenn ich mich auch ein bisschen nach der Zeit zurücksehne, in der ich ganz still und meditativ mich meist mitten in der Nacht in die Süße gestürzt habe.

Nun also mit Dauergeplapper und Frau Fundevogels ängstlichem Quieken, Lass mich den Filter halten, wenn das nun umfällt, nicht Hopsen, nicht Hampeln – unser schöner, schöner Honig…

Alles gut gegangen.

Der Kleine Fundvogel nimmt in zwei Tagen gefühlt das Äquivalent zu drei Honiggläsern in sich auf und ein viertes äußerlich. Trotz Schürzen, Mützen, Wachstuch, Folien und jeder Menge Waschlappen beginnen wir an den unerwartetsten Stellen klebrig zu werden. Dreimal habe ich mir vor dem Schreiben die Hände gewaschen und die Tastatur klebt auch wirklich noch nicht, aber die Unterarme an der Stuhllehne und beim Gehen in der Stube macht es so ein komisches Geräusch, von Türklinken reden wir jetzt mal nicht. Jeder Atemzug voller Süße und immer wieder die Finger schnell vorm Waschen in den Mund gesteckt, Wachskrümel zwischen den Zähnen. Schade wäre es doch dieses Wunder der Süße, das uns in diesen Tagen umfängt wie ein Element, einfach in den Abfluß rinnen zu lassen.

Der Honig rinnt langsam, zäh und golden, ein paar Tage wird es noch dauern mit dem Honig und uns in unserem klebrigen, süßen Nest. Die Süße weckt Erinnerungen, an den kleinen Jungen, der letztes Jahr um diese Zeit zu Besuch war. Wegen einer geistigen Behinderung kann er kaum sprechen,  jedes Mal, wenn er eine Biene sah, rannte er  eifrig glücklich  los, um ein Schraubglas zu holen und sie zu fangen.

An eine Honigernte mit einem anaphxlaktischen Schock eines Teilnehmers erinnere ich mich mit Grausen, gut ausgegangen, hätte aber fast das Ende unserer Bienenhaltung bedeutet.

Und gerade mit Honigduft in der Stube und trocknendem Salbei im Schlafzimmer denke ich auch an das Fräulein Read On und ihre Geruchstagebücher, ziemlich genau ein Jahr muss ihr verstörender Tod nun her sein.

Letztes Jahr war mir unser Honig fast zu süß, zu nichtssagend irgendwie, man kann auch sagen, ein echter Kinderhonig, der seine Fans hatte.

Jedes Jahr schmeckt der Honig anders, jedes Jahr unerwartet, jedes Jahr ein neues Geschenk, abhängig vom Wetter, davon welche Blüten dieses Jahr in Fülle stehen und welche eher kümmern.

Herb und kräftig ist die Süße in diesem Jahr.

Bald ist der Zehnlitereimer voll getropft, zwischendurch beim Schreiben immer wieder aufgestanden, noch mal gestampft, zusammengelaufene Honigpfüzen aus der Transportkiste geschabt, kein Tropfen soll verloren gehen, soviel Bienenarbeit steckt darinnen, 75.000 Flugkilometer füe ein 500g Glas Honig hat mal jemand mit Bienenfleiß errechnet.

Jetzt klebt die Tastatur doch.

Ist ja Honigzeit. Gnadenreiche Zeit.

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10 Gedanken zu “Das große klebrige Fest

  1. Myriade Juli 21, 2020 / 11:12 am

    Ein süßer, summender Text. Und informativ, ich hatte die naive Vorstellung, dass man die Waben einfach herausnimmt, wie die Karten bei einem Computer oder so ähnlich
    Ach, dieser unabstellbare Lehrerinnenblick: im 15.Absatz hast du „erinnern“ vergessen, was ja kein Wunder ist, wenn alles klebt 🙂

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    • fundevogelnest Juli 21, 2020 / 9:44 pm

      Nun ist die Honigernte in der Bienenkiste, die den Bienen viele Freiheiten lässt (und sich deshalb „wesensgemäß“ nennt) etwas anders als in den konventionellen Bienenstöcken, wie z.B. der Segeberger Beute, die die Geschätzte Mitimkerin hat.Da kommt das mit dem Karten ziehen schon fast hin.
      Die Bienenkiste hat in meinen Augen viele Vorteile, die Honigernte gehört nicht dazu und die Unhandlichkeit auch nicht,ich sucche noch immer nach der für uns idealen Haltungsform.
      Dass ich Fehler in meinen Texten auch nach x-maligen Lesen nicht finde, ist leider auch an unklebrigen Tagen so, eben habe ich noch mindestens zehn gefunden und ich wette der Text ist noch nicht längst fehlerfrei.
      Liebe Grüße
      Natalie

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      • Myriade Juli 21, 2020 / 9:52 pm

        Korrekturlesen ist reine Übungssache …

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  2. stachelbeermond Juli 21, 2020 / 12:00 pm

    So schön… ein toller Text. Bienen sind toll, uneingeschränkt. Ich komme gerade vom Dach, wo ich unser sehr kümmerliches Volk mit Zuckerlösung über Wasser halte… auch nicht das Gelbe vom Ei, aber was tut man nicht alles fürs Überleben. Ein bisschen geklebt habe ich auch, aber es hielt sich in Grenzen. 🙂

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  3. fundevogelnest Juli 21, 2020 / 9:48 pm

    Ihr habt einen Bienenstock auf dem Dach?
    Das ist ja mal cool.
    Was fehlt ihnen denn? Hast du eine Idee?
    Futter müsste es jetzt ja reichlich geben. Varroa? Drohnenbrütig? Räuberei ?
    Meine armen Immen quälen sich jetzt mit der Ameisensäure.
    Dann kommt auch hier Zuckerwasser reichlich. Und wenn der Kleine Fundevogel begeistert drei Kilo Zucker mit zwei Liter Wasser verrührt folgt die nächste klebrige Party, diesmal in der Küche.

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  4. violaetcetera Juli 23, 2020 / 7:52 pm

    Ich habe immer schön Honig mit sehr viel Achtung genossen, weil mir bewusst ist, wie viel Arbeit die Bienen da leisten. Wusste aber nicht, dass es so viele Flugkilometer sind.

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    • fundevogelnest Juli 27, 2020 / 12:12 am

      Ich finde das auch unglaublich, aber Irgendjemand hat das woh ausgerechnet, die Zahl wird oft zitiert.

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