An einem einzigen Tag meines Lebens bin ich in einem Hubschrauber geflogen als begleitende Intensivschwester bei einer Langstreckenverlegung. Schnell fiel die Entscheidung an jenem regnerischen Tag. Ehe ich es richtig realisierte, hoben wir auch unter den neideischen Blicken meiner Kolleginnen schon ab– ein Erlebnis, das für mich unter man muss alles mal mitgemacht haben fällt.
Spannend war es. Lehrreich. Laut. Hochkonzentriert. Eng. Mulmig. Auch für den Magen.
War schon froh, dass das kleine Mädchen, um die sich alles drehte, während des Fluges keiner besonderen Tätigkeiten meinerseits bedurfte, sondern ruhig an ihrer Beatmung schlief. Sie ist am Ende ganz gesund geworden, da wo wir sie hingebracht haben.
Wenn so ein Flug noch einmal anstehen sollte, würde ich mich nicht gerade drücken, aber leichten Herzens einer den Vortritt lassen, die das auch mal erleben möchte.
Auf jeden Fall nichts, was ich alle Tage tun möchte.
Wer einen Rettungshubschrauber fliegt, bekommt viel gesellschaftliche Anerkennung, zu Recht. Richtig viel gesellschaftliche Verachtung bekommen dagegen die Helikoptereltern.
Schon mal gehört?
Das sind diese lächerlich-tragischen Figuren, die von ihren Kindern nicht lassen können, jeden ihrer Schritte persönlich oder digital überwachen., sie überall mit dem Auto hinfahren, weil ihnen unterwegs etwas passieren könnte, also ein Regenschauer oder 45 Minuten an einer Bushaltestelle stehen. Vielleicht sogar 45 Minuten laufen – nach dem Sport und dabei auch noch drei Ampeln überqueren. Eltern, die jegliches Klettern, Kokeln und Kloppen vorsorglich unterbinden, vergessene Turnbeutel und Frühstücksbrote in die Schule liefern, die mit der Lehrerin über die Noten diskutieren, sie gar wegen schlechter Noten verklagen und am liebsten auch noch mit dem Uni-Prof ihrer Sprösslinge ein ernstes Wörtchen reden würden.
Und damit die Entwicklung ihrer heißgeliebten Schätzchen nachhaltig beschädigen.
Mein Gefühl ist solch maßlos-wahnwitzige Fürsorglichkeit kommt in Wirklichkeit deutlich seltener vor als in den Kommentarspalten des Internets oder in fluffig wegzulesenden Bestsellern, die klammheimlich Freude machen, weil es ja hundertprozentig klar ist, dass man sich selbst niemals so zum Affen machen würde.
Sag niemals nie.
Zwar ist es mir selten überhaupt aufgefallen, wenn meine Kinder ihre Turnbeutel nicht dabei hatten und die Konsequenzen, die sie dafür bekamen oder auch nicht bekamen, waren und sind mir ziemlich egal
Rotorblätter sind mir trotzdem gesprossen.
Dass der Kleine Fundevogel mit einem GPS-Tracker am Hosenbund durch die Gegend rennt, wissen Sie ja schon. Und inzwischen lass ich mich auf gar nichts mehr ein, kein allein zur Mülltonne gehen, kein vor der Tür spielen ,keine kleine Extrarunde mit dem Fahrrad durch die Kleingartenkolonie, kein allein unter die Dusche, kein Schritt unbeaufsichtigt in die Küche. Der Hubschrauber flattert überall hinterher und kommt sich dabei bescheuert vor.
Und wenn die Frau Fundevogel unterwegs aufs Klo muss, muss er halt mit, egal wie befremdet alle gucken, wenn ein Achtjähriger sich vehement gegen solch mütterliches Ansinnen wehrt.
Das IST nicht normal. Wir SIND nicht normal.
Ich würde an des Kleinen Fundevogels Stelle irre werden, so würde mir dieses Rotorengeflatter auf die Nerven gehen. Ihm geht es auch auf die Nerven. Er begehrt auf. Er wütet. Er diskutiert. Einerseits.
Andererseits verändert er sich, das manchmal bösartig, heimtückisch wirkende, das was mich so erschreckt, das andere anstachelt, das Kind als grundsätzlich schlechten Menschen zu charakterisieren, das schwindet, je fester der Klammergriff, je sicherer der Halt, die Möglichkeit gehalten zu agieren, Großzügigkei zu zeigen, sich einzulassen, verwundbar zu sein, nicht mehr der Desperado zu sein, der sich seine Kalaschnikow fest umklammernd durch den Dschungel kämpft und alles was irgendwie an etwas Bedrohliches erinnert, niederzuballern
„Kinder mit FASD schützen und begleiten“, hieß eine Fortbildung der Ärztin Dr. Hoff-Emden, an der ich unlängst online teilnehmen durfte, Schützen!, nicht erziehen, therapieren, verwandeln.
Dieser Abend war eine Bestätigung dessen, was mir Jahr für Jahr klarer wird, was ich mich aber nicht so recht zu glauben traue: Ich komme hier mit Erziehung nicht viel weiter, ich muss einfach umfassenden Schutz geben, die Räume schaffen, in denen das Kind sein kann ohne sich und andere in Gefahr zu bringen.
Stellen Sie sich ein leuchtendes Spruchband vor das an der Wand lang läuft, sagte Frau Dr. Hoff-Emden., Das Kind kann nichts dafür, ich kann nichts dafür, das Kind kann…
Dieses Spruchband passt erstaunlich gut zu unserer Wohnungseinrichtung.
Manchmal ändere ich die Farbe, damit ich es nicht übersehe wie so manches Bild, das da schon seit Jahren hängt.
Hubschrauberfliegen ist laut. Anstrengend. Hochkonzentriert. Manchmal mulmig.
Bei klarem Wetter ist die Aussicht ganz wunderbar. Man bekommt unvermutete Dinge zu sehen. Den Kleinen Fundevogel, wie er im Eiscafé sagt ich mach das eben für dich und vorsichtig die leeren Becher zur Geschirrabgabe trägt.
Wenn man nacht dauernd Schäden regulieren muss, bleibt Zeit und Raum für neue Blüten.
Nur kein Mensch kann den ganzen Tag Hubschrauber fliegen, nicht mal bei Hochdrucklagen. Und schon gar nicht noch den Haushalt schaffen und die ganze Bürokratie für drei Personen nebenbei. Sieht man jetzt gerade , wo das liebliche Coronavirus wieder hier zu Gast ist. So wie es hier aussieht ist es ganz gut, dass es Exklusivgast ist.
Und an solchen Tagen geht es auch schief, dann sperrt der Kleine sich irgendwo genüßlich zum Unfugmachen einein und dieser Erfolg befeuert das Koboldpack derartig, dass es in einen Machtrausch verfällt, ich um die frisch gerichtete Türzarge bange und die Nachbarin sagt,es hört sich schon irgendwie nach Abriss an. An solchen Tagen kann man Ende nur noch auf ein gnädiges Sandmännchen hoffen
Dazu kommt ein erkleckicher Haufen Zeit, die das Erklären und Rechtfertigen des Hubschraubergehabes vertilgt, nein, Fremde geht das nichts an, aber es gibt doch so diese und jenen, an denen mir ganz viel liegt und von denen ich mich nicht ganz achselzuckend für verrückt und erziehungsunfähig erklären lassen mag.weil ich auch noch ein Mensch bin und um das zu bleiben muss ich die Rotorblätter regelmäßig zusammenfalten dürfen, über anderes reden, schreiben, denken, denn wenn ich kein Mensch mehr bin , nutzen auch die schnittigsten Rotorflügel den Fundevögeln nicht mehr
Das Netz um die Fundevögel muss größer werden, die Piloten müssen sich häufiger abwechseln dürfen und je länger sie notwendig sein werden, desto mehr Unterstützung werde ich brauchen.
Das Netzwerk des Nestes war mal deutich größer, Alter, Tod und Krankheiten haben heftig daran genagt in den letzten zehn Jahren.
Und der Kleine Fundevogel, der das Netzwerk doch am nötigsten braucht., schreckt leider viele ab.
Aber klar, es gibt sie, die gut mit ihm können,die die gern mal Hubschrauber fliegen wollen, weil das aufregend ist und lehrreich, weil die Aussicht faszinierend ist, wenn auch manchmal etwas mulmig.
Ich muss die Flughungrigen nur finden
Ein junger Mann von der anderen Seite der Erde möchte bei uns AupAir machen. Ausdrücklich möchte er lieber etwas spannenderes als „nur“ ein Baby schuckeln.
Ich bin sehr gespannt, wie es werden wird.
Und in Zukunft, höre ich den ewigen Chor, der kann doch nicht ein Leben lang so begleitet werden, das geht doch gar nicht.Wer soll das tun? Wer soll das bezahlen?
Das weiß ich nicht. Aber eine gute Gegenwart erscheint mir die beste Vorsorge für eine in jedem Fall ungewisse Zukunft.
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Du bist eine besondere Frau – und eine besondere Erzählerin, denke ich immer wieder, so beim Lesen. Danke für diesen berührenden Text, liebe Nathalie!
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Danke für das Lob meines Erzählens.
Das andere denke ich entwickelt sich ganz automatisch mit den Bedürfnissen des Kindes. Warum auch immer kann man den Kleinen Fundevogel mit acht Jahren nicht unbeaufsichtigt lassen, sonst ist er weg oder etwas ist kaputt, überschwemmt was weiß ich – da blieb nur die Anpassung
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Ich kenne ja die Hubschraubereltern aus der Lehrerinnenperspektive. Sie sind eine wahre Heimsuchung für die Lehrerinnen ihrer Kinder und letztlich für die Kinder auch.
Oh, ein Aupair-Mann. Vielleicht tut der dem Vögelchen gut. Wenn er Herausforderungen sucht, ist er ja bei euch richtig und wer weiß, was für spannende Konstellationen sich da entwickeln …
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Wenn der Kleine Fundevogel in der Schule ist, freue ich mich , dass andere die Daueraufsicht übernehmen 🙂 und mische da mich nur selten ein und bin eigentlich dankbar , wenn es läuft
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